Online-Riese Alibaba will stationären Handel in China stärken
Integriertes Omnichannel-Modell soll nahtloses Kundenerlebnis bieten
Embrace the change – das ist ein Motto des Internetgiganten Alibaba. Veränderung bedeutet auch, sich Wünschen und Bedürfnissen der Kunden anzupassen. Karl Wehner, Managing Director der Alibaba Group erklärt im Interview, warum das Unternehmen zukünftig auf dem chinesischen Markt verstärkt auf die Verschmelzung von Online- und Offline-Handel setzt.
Herr Wehner, Daniel Zhang kündigte im Oktober letzten Jahres Alibabas „New Retail“-Strategie an. Auf welche Herausforderungen bereitet sich das Unternehmen damit vor?
Die New Retail-Strategie beinhaltet die Integration von Online-Handel, stationärem Handel, Logistik und Daten durch eine einzige Wertschöpfungskette. Damit adressiert Alibaba die schwächelnde stationäre Einzelhandelsbranche Chinas. Viele Einkaufszentren verlieren aktuell Kunden und Umsatz durch den Online-Handel. In China gibt es viele einheimische Marken nur online. Um Wachstum zu erzielen, müssen die Marken aber offline expandieren – vor allem in städtischen Gebieten.
In dieser neuen Welt verschwindet die Unterscheidung zwischen Online- und Offline-Handel, und die Art und Weise, wie der Konsument denkt und über alle Kanäle hinweg handelt, bestimmt, wie der Händler sein Geschäft führt. Händler gewinnen Kunden durch personalisierte Inhalte. Und sie entwickeln Fertigkeiten über Marketing, Innovation und Logistik hinweg, um sich den konstant ändernden Kundenbedürfnissen anzupassen – diese Strategie bezeichnet Alibaba als New Retail.
Welche Veränderungen erlebt der chinesische Markt denn zurzeit?
Der chinesische Verbrauchermarkt befindet sich inmitten eines Wandels, der Unternehmen große Chancen bietet. Dazu haben die folgenden drei Veränderungen geführt: der Aufstieg der gehobenen Mittelschicht zu Wachstumstreibern des Konsums, eine neue Generation von konsumfreudigen, anspruchsvollen Verbrauchern und die wachsende Bedeutung des E-Commerce.
Untersuchungen der Boston Consulting Group und AliResearch, dem Forschungszweig von Alibaba, zeigen, dass 81 Prozent des Verbrauchswachstums bis zum Jahr 2020 aus Haushalten kommen werden, deren Jahreseinkommen mehr als 24.000 US-Dollar beträgt. Außerdem werden die Verbraucher bis zu einem Alter von 35 Jahren 65 Prozent des Wachstums ausmachen. E-Commerce wird sich zu einem der wichtigsten Handelskanäle entwickeln, der 42 Prozent des gesamten Verbrauchswachstums ausmacht und zu 90 Prozent auf den mobilen E-Commerce zurückzuführen ist.
Wie kommt es, dass gerade Alibaba als „Chinas Internetgigant“ zurückrudert und die These aufstellt, dass der E-Commerce nicht ohne das Offline-Geschäft auskommt?
Konsumenten haben Ideen und Interessen, Wünsche und Bedürfnisse, und danach handeln sie. Der Kanal ist dabei nebensächlich, da Beweggründe und Bezugspunkte ständig wechseln. Als Händler muss man wie der Konsument denken. Und der denkt nicht in online und offline, sondern in Wünschen und Bedürfnissen, Marken und Medien.
Alibabas Motto lautet unter anderem „Den Handel weltweit zu vereinfachen” und das bedeutet, den Handel in der digitalen Welt zu vereinfachen. Trotz der Digitalisierung werden stationäre Läden nicht verschwinden. Allerdings haben sich die Kunden verändert, heute ist jeder online. Für Händler stellt sich daher die Frage, wie sie die wesentlichen Komponenten des stationären Handels digitalisieren können, wie zum Beispiel den Kundenstrom in einem Laden, die Produkterfassung oder das Bezahlsystem. Erst wenn alle Bereiche des stationären Handels digitalisiert sind, besteht die Möglichkeit das gesamte Handelsformat zu ändern. Sicher ist, dass man in Zukunft unter Einkaufszentren etwas anderes verstehen wird als heute. Der Einzelhandel wird sich ändern – die Herausforderung ist, Synergien zwischen den Ladengeschäften zu schaffen.
Die Integration von stationären Läden und dem Onlinehandel wird sich in Zukunft zu einem der Hauptmerkmale für Händler, die wachsen wollen, entwickeln: Der Mobile-Bereich wird dabei eine Schlüsselfunktion übernehmen.
Jack Mas Vision der „Verschmelzung von online und offline“ kommt der deutschen Omnichannel-Strategie sicherlich sehr nah. Wieso wird das Konzept in China besser angenommen als in Deutschland?
In China lief die Entwicklung anders ab als im Westen: Die Smartphone-Dichte in China ist größer als in westlichen Ländern, da die mobile Technologie früher für Verbraucher zugänglicher und erschwinglicher war als die Festnetz- und Breitband-Technologie. Daher kauft der durchschnittliche Verbraucher in China hauptsächlich über das Smartphone ein – immer weniger Konsumenten kaufen online über einen herkömmlichen Desktop-Computer. Der Durchschnittsverbraucher hat somit einen schnellen mobilen Zugang und das Shopping-Verhalten und die Technologie haben sich der steigenden Nachfrage angepasst.
Wie will Alibaba das Einkaufserlebnis für Konsumenten mithilfe innovativer Technologien verbessern?
Alibaba ist ein überzeugter Vertreter des Omnichannel-Handels. Am Singles‘ Day im November 2016 verband Alibaba 80.000 physische Läden mit ihren jeweiligen T-Mall- und Taobao-Seiten und ermöglichte so ein Omnichannel-Shopping-Erlebnis. Zudem integrierte Alibaba die VR-Technologie Buy+ das erste Mal in eine Veranstaltung. Damit gingen Konsumenten in digitalen Läden auf der ganzen Welt auf Entdeckungskurs und shoppten Kleidung und Accessoires mit Hilfe der 360-Grad-Panorama-Sicht und eines virtuellen Shopping-Assistenten.
Die Lösung besteht darin, ein integriertes Omnichannel-Modell zu entwickeln, das die Stärken von Online- und Offline nutzt, ein nahtloses und überzeugendes Kundenerlebnis bietet und die Effizienz bei der Bestandsverwaltung, der Produktauswahl und der Logistik steigert.
Wird Alibaba Konzepte wie die Hema Stores und das neu eröffnete Tao Café zukünftig ausbauen?
Das Tao Café wurde als Konzept im Rahmen des Taobao Maker Festivals als eine der neuesten Technologien von Alibaba vorgestellt. In dem experimentellen, kassenlosen Coffee-Shop konnten Kunden einkaufen, ohne sich zum Bezahlen an der Kasse anzustellen.
Seit 2015 hat Alibaba 13 Hema Supermärkte eröffnet: Neben zehn Märkten in Shanghai, gibt es einen in Peking und einen in Ningbo. Das Ziel jedes Supermarktes ist es, einen Kundenstamm im Umkreis von drei Kilometern zu bedienen, um einen schnellen und hochwertigen Service zu gewährleisten. Die Hema-Läden sind auf mobile Technologien ausgerichtet und ermöglichen den Kunden die Nutzung von Alipay. Der Flächenumsatz der Märkte ist drei- bis fünfmal so hoch im Vergleich zu anderen Supermärkten. Außerdem wurde das Kernproblem der Skalierung von lokalen Lieferungen gelöst, da jede Filiale pro Tag Tausende Aufträge abwickeln kann.
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