"Shopdesign ist nach fünf bis sechs Jahren angestaubt"

Interview mit Christoph Lay, Architekt und Innenarchitekt

Um auf Veränderungen zu reagieren und als First Mover die Nase vorn zu haben,...
"Um auf Veränderungen zu reagieren und als First Mover die Nase vorn zu haben, kann ich gerade in der Inszenierung und dem Visual Merchandising am meisten bewirken." Christoph Lay
Quelle: Lay

In jedem Käufer steckt vor allem ein Mensch: Wenn Architekt Christoph Lay über seine Ideen für Shopdesign und -konzepte spricht, findet man schnell heraus, dass ein Laden nicht nur optisch mit der Zeit gehen muss, sondern dass die persönliche Beziehung zum Kunden ausschlaggebend sein sollte. Bereits seit zweieinhalb Jahrzehnten gestaltet er Shops, darunter auch für dm-drogerie markt. Mit der iXtenso-Redaktion sprach er nun über Ideen, die auf der Straße liegen und gibt Tipps, wie auch große Filialisten mit individuellem Design Kunden dauerhaft anziehen können.

Herr Lay, um für Kunden attraktiv zu bleiben, muss das Shopdesign mit der Zeit gehen. Wie lange sollte ein Outfit im Einsatz bleiben?

Da erinnere ich gerne an folgende Entwicklungen: Das Telefon brauchte 40 Jahre um 10 Millionen Nutzer zu generieren. Das Fax 22 Jahre, der PC sieben und das WWW nur noch fünf. Ähnlich rasant ist auch die Entwicklung im Shopdesign. Waren es vor einiger Zeit noch acht bis zehn Jahre, so ist heute ein Shopdesign nach fünf bis sechs Jahren angestaubt und muss erneuert oder zumindest refreshed werden. Das ist natürlich branchenabhängig ein wenig differenzierter; Fashion ist da beispielsweise schnelllebiger, Autohäuser langlebiger. Generell gilt aber: Wenn ich als Händler denke, jetzt wird es aber Zeit, etwas am Ladenbild zu ändern, ist es meistens schon zu spät. Also agieren und nicht reagieren.

Wo schöpfen Sie als Architekt Ideen für neue Trends und Marken?

Die Ideen liegen wortwörtlich auf der Straße. Wenn ich mit offenen Augen durch die Handelswelt gehe, spüre ich sofort, woher der Wind weht und wo eher Flaute herrscht. Als ich beispielsweise vor ein paar Jahren den ersten Store von Uniqlo in Tokio und dann in der 42ten Straße in New York City gesehen habe, war mir klar, dass dieses Konzept auch in Europa, wie jetzt in Berlin, Erfolg haben würde. Während im Baumarkt noch der 11-Zoll-Monitor den Super-Wischmopp bewirbt, geht bei Uniqlo mit raumhohen Monitoren mit hervorragend inszenierten Bewegtbildern „die Post ab“.

Die Kunst besteht für mich auch darin, hieraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und für den jeweiligen Kunden mit dem richtigen Fingerspitzengefühl neue Konzepte zu finden. Dazu muss ich nicht nur international die Augen offen halten, sondern auch immer den Kunden und seine Sehnsüchte als Mensch im Blickwinkel behalten. Denn er ist nicht nur ein potenzieller Shopper.

dm-drogerie markt, für die ich seit über 25 Jahren das Shopdesign gestalte, geht da noch einen Schritt weiter und sagt: „Hier bin ich Mensch – hier kauf' ich ein“. Das ist kein schneller Spruch, sondern wird wirklich gelebt und auch im Shopdesign umgesetzt.

Architektur erzählt in der Ladengestaltung immer mehr die Geschichte der Marke. Warum ist die Inszenierung für Händler heutzutage so wichtig?

Sie können jedes Produkt an jeder Ecke in jeder Stadt einkaufen. Aber gerade diese belanglose Willkürlichkeit wollen die Menschen nicht mehr. Dann kaufen sie lieber im Internet ein und nutzen ihre freie Zeit anders. Der stationäre Handel muss also komplett konträr auftreten und eine einzigartige Inszenierung bieten. Die Menschen suchen Authentizität, Glaubhaftigkeit und Nachhaltigkeit. Gerade in der Zeit anonymer Onlineeinkäufe mit undurchsichtigen Bewertungsforen wird der Dialog über das Produkt mit „richtigen“ Menschen immer wichtiger. Und das Ganze in einer Atmosphäre, in der man sich zu Hause fühlt. Also wie im eigenen Wohnzimmer. Haptik und Materialverarbeitung spielen dabei eine große Rolle. Auf den Punkt gebracht, heißt das: Dialog und Service haben höchste Priorität.

Welche Tipps können Sie Händlern geben, die mehrere Filialen im einheitlichen Kostüm präsentieren wollen?

Gerade Filialisten müssen aufpassen, dass sie nicht in die pauschale Rolle der Vernichter des inhabergeführten Einzelhandels geraten. Dazu müssen sie sich individualisieren. Sie sollten sich direkt mit den Kunden auseinandersetzen und eine schon fast freundschaftliche Beziehung zum Stammkunden aufbauen. Dazu müssen sie selbständig und eigenbestimmt Verantwortung übernehmen. So wie früher am Marktplatz.

Das darf aber nicht dazu führen, dass die Marke verwässert und mit Essentials nach Belieben umgegangen wird. Da ist mir der Begriff „einheitliches Kostüm“ zu harmlos. Wir haben uns bei dm-drogerie markt immer wieder die Frage gestellt, wie wir 15.000 Artikel unter dem „Dach der Marke dm“ präsentieren und haben Erlebnisse geschaffen, an die man sich erinnert. Also eine ganz typische Atmosphäre in Szene gesetzt und auf das Visual Merchandising geachtet.

Welche Möglichkeiten können Händler einsetzen, um unkompliziert den Look zu ändern, ohne sich zeitlich und kostenmäßig zu übernehmen?

Um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren, oder noch besser zu agieren und als First Mover die Nase vorn zu haben, kann ich gerade in der Inszenierung und dem Visual Merchandising am meisten bewirken. Boden, Wand, Decke können Sie wie im Theater nicht so schnell und insbesondere kostengünstig ändern. Im Bühnenbild jedoch können Sie aktiv agieren. Also beispielsweise die Lichtinszenierung ändern. Dazu genügt es schon, die Lichtfarbe zu akzentuieren oder zu ändern. Mit der aktuellen LED-Technik ist das leicht möglich.

Der klassische Ladenbau ist heute nicht mehr so wichtig. Mit neuen Techniken wie Informationskiosken, großzügigen Kommunikationsflächen oder Bewegtbildern dagegen kann schnell Neues aufgespielt werden. Ich muss mir also nicht gleich einen neuen Anzug kaufen; es genügt schon ein anderes Hemd, ein anderes Einstecktuch oder vielleicht auch nur eine neue Krawatte.

Wie finden Sie und der jeweilige Händler heraus, ob die Gestaltung die Kunden anspricht?

Das werden Ihnen die Umsatzzahlen ganz schnell verraten. Wollen Sie das aber genauer und detaillierter wissen, führt kein Weg an einer Marktforschung mit Kundenbefragung und, wenn umsetzbar, mit Eyetracking vorbei. Die „Bauch-Interpretationen“ vertreten meist nur eine starke Meinung und verbreiten eine trügerische Sicherheit.

Worauf legen Sie selbst als Kunde Wert, wenn Sie einen Shop betreten?

Der erste Eindruck bekommt bei mir keine zweite Chance. Und da müssen alle Sinne angesprochen werden. Eine Beleuchtung wie an einem Sommertag, adäquate Geräusche, unaufdringliche Luftqualität - also bitte nicht beduften! - und angenehme Materialien und Oberflächen mit typischer Haptik gehören dazu. Die Präsentation der Ware muss Appetit machen und mir im Dialog erklärt werden können. Und dann kommt das Wichtigste überhaupt: Wie ich als Mensch im Store angesprochen werde.

Natascha Mörs; iXtenso.com
 

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