Technologie in der Lieferkette: Heirat von Waren und „Blockchain Device“
Prototyp zur Überwachung temperaturempfindlicher Waren für mehr Transparenz
Hand hält Prototyp
Lebensmittel, Impfstoffe, Medikamente – alles Waren, bei denen die Einhaltung der Kühlkette besonders wichtig ist.
Die Dortmunder Forscher Maximilian Austerjost und Josef Kamphues vom Fraunhofer IML haben ein Gerät entwickelt, das entlang der Lieferkette aufpasst, dass bei der Kühlung nichts schiefgeht. Dies soll aber erst der Anfang sein für eine Reihe von Blockchain Lösungen - made in NRW.
Herr Kamphues, Herr Austerjost, was ist Ihnen als Kunde innerhalb einer Lieferkette wichtig?
Max Austerjost: Ich möchte planen können – wissen, wo meine bestellten Waren sind und wann sie bei mir ankommen. Hier freue ich mich immer über Bestätigungsmails, die mir mitteilen, wo sich meine Bestellung befindet und was mit ihr als Nächstes passiert.
Josef Kamphues: Für mich ist Transparenz auch ein ganz wichtiges Stichwort. Klar, war auch in den letzten Jahren Schnelligkeit ein großes Thema. Unsere Bestellungen sollten möglichst schnell zu uns geliefert werden. Insgesamt finde ich, dass aber die Transparenz in der Lieferkette immer mehr in den Fokus rückt. Man kann dann einfach besser planen.
Sie haben den Prototypen eines „Blockchain Devices“ entwickelt, um unter anderem diese Transparenz zu schaffen. Was steckt dahinter?
Kamphues: Das von uns entwickelte „Blockchain Device“ ist zuallererst ein mobiles Endgerät, das Teil eines verteilten Datenspeichers ist – und zwar der Blockchain. Das Device verfügt über ein ePaper-Display, das unabhängig von der Lichteinstrahlung lesbar ist. Sowohl die Soft- als auch die Hardware und das Gehäuse wurden von uns entworfen. Zur Entwicklung haben wir uns einen Use Case im Bereich der Kühlkette ausgesucht. Die Kette sollte mithilfe des Devices in jedem Punkt der Lieferkette nachgehalten werden. Die Ware wird dazu salopp gesagt mit dem Gerät verheiratet. Genauer: Wir haben eine handelsübliche Thermobox genommen und ein Etikett durch unser Gerät ersetzt. Dieses ist mit Sensoren ausgestattet, die Temperaturen tracken können und sofort merken, wenn beispielsweise die benötigte Temperatur von 8 Grad Celsius nicht stimmt, sondern im Lieferwagen 20 Grad Celsius herrschen. Dieser Fehler wird vom Device erfasst und in die Blockchain geschrieben und ist für die verantwortlichen Akteure jederzeit einsehbar. Mithilfe von Smart Contracts können in diesem Falle automatische Benachrichtigungen erzeugt werden – bspw. an den Lebensmittelhändler oder auch den Zusteller, der zügig etwas an der Temperatur ändern sollte.
Kann das Gerät lediglich Informationen über die Temperatur liefern?
Kamphues: Nein, die technischen Möglichkeiten gehen noch weiter. Es protokolliert beispielsweise auch, wenn Waren beim entsprechenden Empfänger zugestellt wurden: Zeitpunkt und Ort werden genau festgehalten. Dafür ist eine GPS-Lokalisierung angebracht. Das Gerät liefert im Großen und Ganzen alle operativ relevanten Daten, die während eines Transports von Bedeutung sein könnten. Hinterher kann bei Unregelmäßigkeiten oder Fehlern auch nachvollzogen werden, wer wann verantwortlich war, denn alle Ereignisse werden vom Gerät in die Blockchain geschrieben und bleiben dort irreversibel gespeichert.
Warum wird Digitalisierung hier immer wichtiger?
Austerjost: Wir holen uns Waren von überall her. Bedeutet: Unser Lieferant ist nicht mehr nur der Schmied vor Ort oder der kleine Laden um die Ecke. Sondern wir schauen auf Preis und Qualität, haben Spezialisierungswünsche oder brauchen größere Mengen. Das alles macht es öfter erforderlich, dass die Sachen von weiter wegkommen. Damit bei diesen großen Distanzen alles klappt und planbar bleibt, sind korrekte Informationen über die Lieferkette unerlässlich, d.h. es braucht digitalisierte Rückräder, wie unseres.
Wer erhält Zugriff auf die Informationen des „Blockchain Devices“?
Austerjost: Jeder innerhalb der Lieferkette hat natürlich ein Recht auf die „Wahrheit“. Man muss sich natürlich immer fragen: Wer braucht welche Infos und wem nützen sie? Wenn wir beim Beispiel der eingehaltenen Kühlkette bleiben, sollte in dem Fall der Kunde auf alle Fälle wissen, dass im Lieferwagen 20 statt der nötigen 8 Grad Celsius geherrscht haben und er die Lieferung somit nicht annehmen sollte. Und er kann auch rechtssicher einsehen, woran oder an wem der Fehler liegt.
Kamphues: Prinzipiell ist alles in der Blockchain Protokollierte einsehbar, aber muss nicht zu jeder Zeit für alle Akteure innerhalb der Kette abrufbar sein. Mithilfe von Autorisierungs- und Authentifizierungsverfahren, die wir eingerichtet haben, kann das geregelt werden.
Wann kann das Device eingesetzt werden?
Austerjost: Alle Beteiligten müssen vorab mit dem Einsatz des Geräts einverstanden sein, schließlich werden an verschiedenen Punkten des Liefervorgangs Daten gespeichert. Da muss jeder sein „ok“ geben. Eine Lieferkette besteht aus vielen Gliedern. Ist eines nicht dabei, funktioniert das Ganze schon nicht mehr. Vorab wird also eine Art Vertrag geschlossen, Rechte und Pflichten werden definiert. Die Akteure, die sich auf diesen Vertrag verständigen, sind dann Teilnehmer eines sogenannten Blockchain-Konsortiums. Diese Netzwerkambitionen und -bewegungen machen es spannend und herausfordernd, sind aber notwendig, um eine vollständige Transparenz zu schaffen. Es reicht nicht, wenn nur der Lebensmittelhändler sagt: Ich möchte mit dem Blockchain Device arbeiten, da fehlt dann der Mehrwert.
Der Prototyp steht – was folgt als Nächstes?
Austerjost: Wir arbeiten gerade an einem Pilotprojekt und befinden uns in Gesprächen mit einem Pharmaunternehmen, das das Gerät tatsächlich unter realen Bedingungen testen und in seine Abläufe integrieren möchte. Außerdem wollen wir das Device noch anhand weiterer Use Cases testen. Als nächstes möchten wir uns anschauen, wie unsere Idee funktioniert, wenn man statt Lebensmitteln Gefahrgut transportiert. Da gibt es spezielle Auflagen zu beachten.
Kamphues: Außerdem wollen wir uns in Zukunft auch dem Thema Zoll widmen und schauen, wie das Device grenzübergreifend einsetzbar ist. Damit kommen wir auch zu unserem Ziel, welches wir als europäisches Blockchain-Institut verfolgen: Blockchain-Standards und -Lösungen entwickeln, die europaweit genutzt werden können – made in NRW.