Problemfall Retail: Die Flächen sind da, wo sind die Kunden?
Auf dem Trendforum Retail 2019 ging es um Multi-Use-Immobilien im Einzelhandel
Beim Trendforum Retail am 09. und 10. Oktober 2019 in Schwalbach bei Frankfurt am Main wurde von Redner und Gästen diskutiert, wie der stationäre Einzelhandel Kunden gewinnen, behalten und begeistern kann.
Im Rahmen der Veranstaltung erhielten interessierte Teilnehmer von Center-Manager Marcus Schwartz eine Tour durch das Shoppingcenter MyZeil in Frankfurt am Main, das 2014 von der ECE Projektmanagement GmbH übernommen wurde. Bei den Geschäften setzt Schwartz auf Herstellerläden mit beratungsintensiven Produkten. Hauptfokus neben dem Einzelhandel sind Gastronomie und Events.
Unter dem Motto „Shoptainment“ bietet das in den letzten Jahren runderneuerte Einkaufszentrum große zentrale Flächen für Veranstaltungen wie Sportkurse, Tanzveranstaltungen, Wettbewerbe, Film- und Sportübertragungen. Ein Kino mit mehreren Sälen und zahlreiche Restaurants in einer Food-Arena, die auch sonntags geöffnet ist, sollen gut betuchtes Publikum in und um Frankfurt anziehen. Unter der Brand Foodtopia treten die MyZeil-Gastronomen auch auf externen Veranstaltungen auf. Außerdem vermietet das Center-Management Räumlichkeiten für Business-Events und nutzt das Gastroangebot statt Catering. „Der Expansionsdruck lässt nach und es entsteht die Frage, wie man die Innenstadtflächen nutzt. Unsere Antwort: ein urbaner Marktplatz der Zukunft sein“, sagt Schwartz.
Müssen Händler und Shoppingcenter mehr bieten als Einkaufen?
Mathias Sander von Dan Pearlman brachte die Erklärung in seinem abendlichen Vortrag auf den Punkt: Die Arbeitswelt, die in der Öffentlichkeit thematisiert wird, ist eine mit flexiblen Arbeitszeiten, mobilen Arbeitsplätzen, Homeoffice-Möglichkeiten, kreativen Denkpausen am Tischkicker oder an der Bar. Moderne Büros von Start-ups oder IT-Firmen sehen aus wie Abenteuerspielplätze durchsetzt von chilligen Sofainseln. Sander wirft die Frage auf: Wenn Arbeiten also so aussieht und unsere Freizeit, von der wir auf Instagram begeistert aller Welt berichten wollen, noch viel beeindruckender scheint, wie muss dann der eigentlich eintönige Alltag mit seinen Aufgaben gestaltet sein, damit wir dafür noch Zeit und Mühe aufwenden?
Hier muss der stationäre Einzelhandel überlegen: Wie kann man mit einer solchen Freizeit- und Arbeitswelt konkurrieren, damit nachfolgende Generationen nicht mit möglichst wenig Aufwand die nötigen Besorgungen online tätigen? Hinzu kommen hohe Ansprüche: Kunden wollen individuell zugeschnittene Angebote mit bestem Service und komplettem Datenschutz im günstigen Abonnement, das aber jederzeit ohne Nachteile unterbrechbar sein soll, wenn sie zwei Wochen im Urlaub sind.
Fakt ist: Die Flächen sind da, Geschäfte gibt es genug, aber wie gestalten Händler ihr Angebot so, dass die Kunden zu ihnen kommen? Ein bisschen Videocontent auf Digital Signage laufen lassen? Ein Tablet ausstellen, auf dem Kunden im Onlineshop surfen können?
Vom Point of Buying zum Point of Emotion zum Point of Community
Maik Drewitz und Michael Pier von Umdasch & Seen Media stellten als Antwort auf diese Frage einen Store von 11 Teamsports vor. Der Onlineshop für Fußball- und Teamsportequipment setzt inzwischen auf einige stationäre Geschäfte im deutschsprachigen Raum. Im Flagshipstore in Berlin erwarten den Fußballfan viele bekannte Stadionelemente und Erlebnisse. Der Eingang ist wie ein Spielertunnel im Stadion gestaltet, Soundduschen mit Fangesängen und LED-Tafeln sollen die richtige Atmosphäre erwecken. Die Lifestyle-Abteilung ist im Stil eines Abkühlbeckens gebaut, in einem digitalen Test-Court mit Steinblockrängen und Kunstrasen können Fußballer auf eine virtuelle Torwand schießen oder an Gaming-Wettbewerben teilnehmen. Mit Laser können Fans ihre Fußballschuhe individuell gestalten lassen. Im House of Clubs, einem Raum mit exklusivem Zugang für ausgewählte Gäste, finden Events oder B2B-Meetings statt.
Erlebnis versus Bedarf
Lutz Schneppendahl von HarresKind wandte ein, dass nicht jeder Laden eingerichtet und bespielt werden kann wie ein Flagshipstore. Die wenigstens Filialisten können neuartige und aufwendige Konzepte in allen ihren Geschäftsstellen umsetzen. Im Lebensmitteleinzelhandel, sagte Schneppendahl, kämen noch ganz andere Herausforderungen hinzu. Die Leute kaufen nach Bedarf ein, nicht für ein Erlebnis; und die Zielgruppe umfasst beinahe alle Altersgruppen, Schichten und Geschmäcker. Die alle in einem Store, Flagship oder nicht, unter einen Hut zu kriegen, sei schwierig genug.
Die Teilnehmer waren sich einig, dass gehypte Technologien allein nicht das Wundermittel sind. Prof. Stephan Rüschen von der DHBW Heilbronn, der den zweiten Tag der Veranstaltung moderierte, fasste den Tenor zusammen: „Einige digitalisieren sehr viel, andere deutlich weniger. Aber man spürt, dass ein Aufbruch stattfindet. Deshalb ist mein Rat an Händler: Seien Sie Teil des Aufbruchs! Bleiben Sie dran an dem, was passiert, damit Sie kluge Investitionsentscheidungen treffen können.“
Technologie, Digitalisierung, Storedesign, Koch- oder Sportevent – bei all dem muss der Mensch und die emotionale Bindung zum Produkt und zum Geschäft im Mittelpunkt stehen. Dann fühlen sich Kunden geschätzt und nehmen sich die Zeit fürs Einkaufen – ganz altmodisch.