Es kommt nicht immer auf die Größe an
„Fräulein Mode und Wohnen“ zeigt, dass auch der lokale Einzelhandel bei Instagram durchstarten kann
Interview mit Simona Libner, Inhaberin von „Fräulein Mode und Wohnen“ und Gewinnerin des Deutschen Handelspreises 2021 des Handelsverband Deutschland HDE.
Manchmal muss man ins kalte Wasser springen, denn meistens zahlt es sich am Ende aus. Das hat Simona Libner 2021 feststellen können. Sie betreibt drei Bekleidungsgeschäfte in Nordrhein-Westfalen und ist Einzelhändlerin durch und durch. Doch die Pandemie zwang sie, sich abseits des klassischen stationären Einzelhandels neue Wege zu suchen. Denn wenn die Kund*innen nicht mehr ins Geschäft kommen, muss das Geschäft eben zu den Kund*innen kommen.
So begann sie, einen Instagram-Account aufzubauen. Den sieht sie nicht als Ersatz für ihre Geschäfte, sondern als Ergänzung. Und obwohl sie während des Schaffens-Prozesses vor einigen Herausforderungen stand, hat ihr Account @fraeuleinmodeundwohnen am Ende einen kometenhaften Start hingelegt und gewann beispielweise den Deutschen Handelspreis des HDE. Dass ihr Account mit viel Herzblut und Charme geführt und gepflegt wird, sieht man ihm an. Im Interview erläutert sie, welche Herausforderungen sie mit ihrem Team überwinden musste, wie viel Zeit sie in die Plattform investiert und welche Einstellung ihr beim Entwurf der Beiträge hilft.
Frau Libner, wie sind Sie darauf gekommen, Instagram für Ihr Geschäft zu nutzen?
Simona Libner: Mein Mann ist seit 25 Jahren im Einzelhandel tätig, ich seit neun Jahren. Erstmal war die Digitalisierung für uns weit weg – und dann kam Corona. Wir wussten, dass wir jetzt unsere Hausaufgaben machen müssen. Wie können wir die Nähe zu unseren Kund*innen, die wir sonst im stationären Handel haben, fortführen?
Für mich ist im stationären Handel wichtig, dass die Kund*innen sich unterhalten fühlen und wohlfühlen. Normalerweise spreche ich meine Kund*innen an und berate sie aktiv und ehrlich, auch wenn es dann mal heißen muss "Das ist gar nicht Ihre Farbe, aber wir haben ja noch andere Möglichkeiten". Am Ende wollen wir, dass jemand aus unserem Geschäft geht und überrascht und zufrieden ist – das kann der Online-Handel meiner Meinung nach einfach nicht. Dort kommen circa 80 Prozent der bestellten Pakete zurück, weil die Kund*innen enttäuscht sind – vom Material, der Passform, der Farbe, etc.
Aber durch Corona wurde ich erstmal stumm gestellt, was meine Beratung anging, weil der Einzelhandel geschlossen hatte. Daraufhin fingen wir an, kleine Videosequenzen für Instagram zu drehen: Wir haben uns vorgestellt, wir haben die Kleider gezeigt, mal mit einem Dancemove, mal mit einem Accessoire. Das ganze kam so gut an, dass wir gesagt haben, wir möchten einer der ersten sein, die auch Live-Shopping anbieten.
Das war aber in Bezug auf das Warenmanagement nicht so einfach, da wir ja auch weiterhin an der Ladentür Ware verkauft haben. So mussten wir die Ware, die wir online vorgestellt haben, erstmal zurücklegen und konnten sie nicht im "normalen" Abverkauf einbringen. Heute geht das besser, weil wir einen Webshop haben – aber in den Anfängen war das eben nicht so einfach.
Das heißt, Sie haben erst mit Instagram und Facebook angefangen und dann einen Webshop eröffnet?
Libner: Wenn man einen Webshop seriös betreiben möchte, dauert die Einrichtung schon seine Zeit. Heute erleichtert der Webshop es uns und den Kund*innen, den Überblick zu behalten, welche Ware noch vorhanden und welche schon verkauft ist. Aber wir sehen den Webshop auch heute noch nur als einen Service für unsere Kund*innen an, nicht mehr und nicht weniger. Denn wir sind uns bewusst, dass wir nicht vergleichbar mit großen Unternehmen wie Amazon oder Zalando sind.
Wie haben Sie die Waren online präsentiert?
Libner: Erstmal haben wir mit kleinen Fotos und Videostrecken angefangen. Die Ware haben wir an mir und meiner Kollegin – also an zwei verschiedenen Passformen – vorgestellt, damit die Kund*innen einen Eindruck bekommen, wie die Kleidung an unterschiedlichen Körperformen sitzt.
Mehr oder weniger zeitgleich haben wir mit dem Livestream angefangen. Das war im ersten Augenblick sehr komisch, weil man ja eigentlich ins Nichts redet und sich vorstellen muss, vor einem Publikum zu stehen. Aber die Resonanz der Kund*innen war gut, insgesamt haben 70 Leute zugeschaut und Fragen gestellt. Für uns war dabei ein Learning, dass Kleider und Bluse am beliebtesten sind, Accessoires und Hosen weniger.
Das ganze Projekt ist auch deshalb so gut angekommen, weil unsere Kund*innen UNS unterstützen wollten, das bedeutet uns viel. Im Gegenzug geben wir uns Mühe, die Nähe zu den Kund*innen beizubehalten: Wir nehmen sie in unseren Stories mit in unseren Alltag und zeigen zum Beispiel kleine Behind the Scenes Sequenzen. Unsere Stories werden täglich rund 300 Mal angeschaut. In den Stories und Videos kommen auch meine Mitarbeiterinnen zu Wort, auch das macht uns nahbarer – es ist eben nicht nur die Chefin, die vor der Kamera steht, sondern das ganze Team. Am meisten freut es uns natürlich, wenn wir lobende Kommentare bekommen oder in den sozialen Medien, zum Beispiel in Gruppen, weiterempfohlen werden.
Wie viel Zeit investieren Sie in die sozialen Medien?
Libner: Sehr viel Zeit. Erstmal mussten wir lernen, wie wir so einen Account aufziehen und haben dafür beispielsweise Workshops beim Kompetenzzentrum Handel belegt.
Auch jetzt, wo wir wissen, was wir damit erreichen und darstellen wollen, kostet das Erstellen der Inhalte viel Zeit. Die Videos können wir ja auch nicht im laufenden Geschäft produzieren, denn in der Zeit kümmern wir uns um die Kund*innen vor Ort. Stattdessen machen wir das abends, und das dauert inklusive Set Up meist zwei bis drei Stunden.
Pro Woche bringen wir ungefähr zwei Beiträge raus. Wir nehmen uns dabei nicht zu ernst: Beispielsweise "backe" ich mir in einem Video einen italienischen Mann – dabei bin ich eigentlich verheiratet. Wir versuchen die Situationen so zu nehmen, wie uns die Ideen kommen, und arbeiten nicht mit Script. Wenn mal Versprecher dabei sind, finde ich das nicht schlimm – das ist eben menschlich.
In den vergangenen Videos hatten unsere Inhalte mehr einen Soap-Charakter mit kleinen Geschichten, in denen die Kleidungsstücke beworben wurden. In den kommenden Video wollen wir wieder etwas "ernster" werden und auf Trends der Saison eingehen. Wir erfinden uns eben immer wieder neu. Insgesamt wollen wir uns mit dem Account und den Inhalten von der Masse abheben, denn das Image vom verstaubten Einzelhandel wollen wir nicht bedienen, das sind wir nicht – wir sind spritzig und neu.
Was bedeutet der Handelspreis des HDE für Sie?
Libner: Für uns ist das eine riesige Ehre. In ganz Deutschland wurden Unternehmen nominiert, und ausgerechnet wir wurden wahrgenommen und haben gewonnen. Und viele Leute, die unser Tun verfolgt haben, gönnen uns den Preis, denn es steckt ja eine Menge Arbeit darin. Einige Mitbewerber waren gefrustet, nicht gewonnen zu haben und sagten dann zu mir, mir würden solche Videos und Inhalte ja besonders leicht fallen, weil ich nicht kamerascheu bin. An dieser Stelle muss ich sagen: Ja, das stimmt – aber man muss es auch einfach machen. Auch ich musste dafür meine Komfortzone verlassen.
Wie wollen Sie sich in Zukunft weiterentwickeln?
Libner: Momentan bringen wir einen Newsletter heraus und wollen in diesem Jahr mit einem Bonus-Programm starten. Wir werden uns nicht auf unserem Erfolg ausruhen, sondern suchen uns ständig neue Wege. Gefühlt ändert sich die Art, wie sich der Handel online präsentiert, von Woche zu Woche: Videos, Stories, Reels – wir zeigen, dass wir dem offen gegenüber stehen und für jeden Spaß zu haben sind, indem wir diesen Weg mitgehen. Wir werden auch weiterhin Workshops mit dem HDE oder Google belegen, um uns weiterzuentwickeln.
Für uns geht es im Endeffekt darum, dass die Kund*innen auch weiterhin zu uns in den Laden kommen und die Atmosphäre live erleben. Und dafür werde ich nicht müde, neue Wege zu gehen und die Kund*innen dort abzuholen wo sie gerade sind, sei es im Bus, auf dem Sessel oder auf der Couch. Ich versuche, sie für mein Unternehmen zu begeistern. Denn am Ende bin ich auf die Solidarität der Kund*innen angewiesen.
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