Omnichannel ist die Zukunft
Wie sich die Corona-Krise auf den Einzelhandel auswirkt, lässt sich gut am Kursverlauf der Deutschen-Post Aktie ablesen
Mitte März 2020 war ihr Wert rasant schnell von knapp 35 Euro auf 19 Euro gesunken, um dann bis Mitte Oktober auf deutlich über 40 Euro zu steigen.
Erklären lässt sich das damit, dass vor allem die KEP-Sparte DHL ordentlich zu tun hat. Und das wiederum liegt an der deutlichen Zunahme des Online-Handels. Laut Zahlen des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (BEVH) lag der E-Commerce-Umsatz in Deutschland in den ersten neun Monaten 2020 bei gut 56 Milliarden Euro – im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 10,6 Prozent. Interessant ist dabei vor allem, dass Fast Moving Consumer Goods (FMCG) wesentlich zum Wachstum beitragen. Bislang spielten die für den Onlinehandel kaum eine Rolle.
Vieles spricht also dafür, dass sich die Corona-Pandemie als Katalysator für die Digitalisierung im Handel entwickelt – wie auch in vielen anderen Bereichen. Entwicklungen, die bereits seit Jahren zu beobachten sind, beschleunigen sich drastisch. Für Handelsunternehmen bedeutet die neue Dynamik Chancen und Herausforderungen. Einzelne Player, die schon vor der Krise ihre digitale Transformation forciert haben, können derzeit profitieren. Dazu gehört allen voran Amazon, dazu zählen aber Einzelhandelsketten und sogar kleine Einzelhändler. Wer noch nicht so weit ist, sollte sich rasch auf den Weg machen. Denn es ist kaum davon auszugehen, dass Verbraucher ihre neue Online-Affinität nach der Pandemie wieder verlieren. Abgesehen davon ist das Ende noch lange nicht Sicht.
Omnichannel entlang aller Phasen
Für Handelsunternehmen stellt sich damit weniger die Frage, ob sie die Digitalisierung weiter vorantreiben sollten, sondern mehr, wie sie dabei vorgehen. Als Königsweg gilt derzeit der Omnichannel-Ansatz. Auch aus unserer Sicht führt daran in Zukunft kein Weg vorbei. Allerdings stellt sich der angestrebte Effekt nur dann ein, wenn tatsächlich sämtliche Phasen der Customer Journey und alle Transaktionen berücksichtigt werden. Omnichannel ist deutlich mehr, als lediglich einen Online-Shop als zusätzlichen Absatzkanal einzurichten und zu versuchen, die eigenen Marktanteile zu sichern – auch wenn das bei einigen Einzelhändlern aktuell zu den dringlicheren Aufgaben zählt. Durch ausgereifte und integrierte Prozesse können ROI und Profitabilität maßgeblich gesteigert werden. Für eine bessere Orientierung lohnt sich die Gliederung der Customer Journey in vier Phasen bzw. Transaktionen: Kauf der Ware, Kommissionierung der Ware, Bereitstellung der Ware und Abrechnung der Ware.
Entkopplung und Integration
Die Herausforderungen ergibt sich nach unserer Erfahrung vor allem daraus, dass sich die einzelnen Transaktionen eines ursprünglich ziemlich eindimensionalen Prozesses entkoppelt und zu einem multidimensionalen Prozess ausdifferenziert haben. Händler müssen für die Transaktionen nicht nur geeignete Kanäle etablieren und betreiben. Das ist an sich schon nicht ganz trivial. Sie müssen die Transaktionen auch wieder integrieren. Was damit gemeint ist, verdeutlicht ein Beispiel:
Angenommen, bei einem Click&Collect-Szenario möchte ein Kunde online bestellen, die Waren vor Ort abholen und dann dort mit der Karte bezahlen. Dann setzt das voraus, dass schon während des Bestellvorgangs bekannt ist, dass die ausgewählten Waren verfügbar sind und ab wann sie kommissioniert bereitstehen. Diese Informationen benötigt der Kunde. Der Händler muss wissen, dass die Bestellung eingegangen ist, bis wann die Waren bereitgestellt werden müssen und dass der Kunde mit Karte zahlen möchte, um den richtigen Fakturierungsprozess zu triggern. Werden all diese Informationen nicht medienbruchfrei ausgetauscht, funktioniert das Ganze zwar möglicherweise dennoch. Aber nur wenig effizient, mit einer höheren Anzahl an Fehlern, die im Nachgang manuell korrigiert werden müssen, und mit einer schlechten Customer Experience.
Integration bedeutet in diesem Fall zunächst einmal, dass der Online-Shop in Echtzeit Zugriff auf Daten zum Warenbestand im ERP-System erhält. Zudem ist eine Verbindung mit dem Workforce-Management-System hilfreich. Denn so lassen sich zum einen Daten zu den Kommissionierungskapazitäten und Bereitstellungszeiten der Lokationen nutzen und mit smarten Heuristiken zu Voraussagen – ab diesem Zeitpunkt ist die Waren abholbereit – verdichten. Sind bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Filiale mobile Endgeräte im Einsatz, können darüber zum anderen direkt Kommissionierungsaufträge per Push oder Pull gesteuert werden. Gemeinsam mit SES-imagotag, einem Anbieter für elektronische Preisschilder, haben wir schon 2019 ein Szenario umgesetzt, das den Kommissionierungsprozess effizienter gestaltet und damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlastet: Ihnen wird in der Filiale bzw. im Lager mit unterschiedlich farbigen Lichtern angezeigt, welche Produkte in den Warenkorb eines Kunden gehören (Pick-by-Light), was das Zusammenstellen erheblich beschleunigt.
Ein zusätzlicher Effizienz-Booster ist die Multi-Order-Kommissionierung. Dabei picken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei einem Kommissionierungsgang die Ware für mehrere Bestellungen gleichzeitig. Das reduziert die Arbeitszeit und damit die Personalkosten pro Kommissionierung und senkt die Zeit bis zur Bereitstellung. Voraussetzung für eine Einführung sind sowohl eine umfassende fachliche Expertise als auch tiefe technische Kenntnisse des Warenwirtschaftssystems.
Kundennähe und 24/7
Die Daten, die in einem solchen integrierten Omnichannel-Prozess entstehen, lassen sich auch für Prognosen zum Kaufverhalten der Kunden nutzen. Und die können Händlern dabei helfen, die eigenen Kapazitäten exakter zu planen. Das gilt zum einen hinsichtlich der Workforce – trotz Volatilität bei den Bestellungen können kurze Bereitstellungszeiten garantiert werden, ohne dass zu viel Personal im Einsatz ist. Zum anderen betrifft das die Ware, die exakt gemäß der erwarteten Nachfrage vor Ort vorgehalten werden kann.
In den vergangenen Jahren hat sich die Befürchtung verbreitet, dass der stationäre Einzelhandel sukzessive durch E-Commerce-Pure-Player verdrängt wird. Durch die Corona-Krise könnte diese Entwicklung forciert werden – so die Sorge. Wir sind davon überzeugt, dass genau das Gegenteil eintritt – sofern die etablierten Händler konzentriert ihre Omni-Channel-Ansätze auf- bzw. ausbauen. Denn damit bieten sie ihren Kunden das Beste aus beiden Welten: die physische Nähe, die eine persönliche Beratung ermöglicht und zumindest aktuell noch Geschwindigkeitsvorteile mit sich bringt, sowie eine 24/7-Erreichbarkeit von überall aus.
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