Fingerspitzengefühl bei Preisänderungen
Wer hat Angst vor ESL?
delfi
Die Vorteile digitaler Preisauszeichnung für Einzelhändler sind vielfältig – erst recht mit immer stärker ausgefeilten technischen Lösungen. Doch weiterhin sind Verbraucherschützer skeptisch – aus Angst vor Flatterpreisen. Ist die Sorge berechtigt?
Noch vor zwei Jahren war das Thema Elektronische Preisetiketten (ESL) Neuland. Schon damals gab es misstrauische Blicke. Wenn Einzelhändler auf Knopfdruck Preise ändern können – wie sicher sind dann die Preise am Regal? Verbraucherschützer monierten erst kürzlich wieder, dass sich diese Möglichkeit negativ auf die Kundenbindung auswirken könne. Mögliche „Tankstellenpreise“ könnten das Vertrauen von Kunden schwächen.
Info: Der Preis am Regal ist nur ein „Angebot“, das der Käufer an der Kasse abgibt. Wenn nun die Kasse einen anderen Preis angibt als den, der gerade noch am Regal stand, steht es dem Kunden frei, diesen nicht zu akzeptieren. Bezahlt er die Ware und bemerkt dann erst den anderen Preis, kann er es zwar sofort anfechten – darauf eingehen muss der Verkäufer allerdings nicht. Das ist reine Kulanz.
Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg beschreibt: „Bei den Tankstellen hat man gesehen, dass Kunden völlig verunsichert waren, welcher Preis sie nun an der Kasse erwarten würde – gerade vor Feiertagen und Ferien stiegen diese willkürlich in die Höhe. Es herrschte Angst davor, den Überblick zu verlieren. So etwas befürchten Kunden im Lebensmitteleinzelhandel auch. Und zwar besonders diejenigen, für die auch Centbeträge wichtig sind. Sie haben Angst, dass sie an der Kasse ein anderer Preis erwartet als am Regal.“
Theoretisch ist es natürlich möglich, dass Einzelhändler innerhalb kürzester Zeiträume, sogar mehrmals am Tag, Preise ändern. In der Realität werde das allerdings derzeit nicht umgesetzt, erklären Händler und Hersteller auf Anfrage. Media Markt und Saturn beispielsweise, die mittlerweile alle rund 420 Märkte in Deutschland mit ESL versehen haben, reagieren auf die Skepsis folgendermaßen: „Generell müssen wir beobachten, in welcher Frequenz Preisänderungen Sinn machen – so wie wir das übrigens schon immer getan haben. Früher händisch, nun digital. Unser Anspruch ist es dabei definitiv nicht, Preise in Tankstellen-Manier permanent zu ändern und den Kunden zu verwirren. Und wenn Preisanpassungen notwendig sind, so werden diese in der Regel außerhalb der Ladenöffnungszeiten umgesetzt.“
Professor Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU sieht Preiswechsel auch nicht als Gefahr. „Was ist am Grundsatz schlecht, dass sich Preise ändern? Sie haben sich schon immer geändert, heute geht das einfach schneller. Das Problem ist nur, dass die Verbraucher diese ESL noch nicht gut kennen. Wir Deutschen haben generell Angst vor neuen Dingen. Doch unser ganzes Leben wird dynamischer und individueller werden. Noch sehen wir nicht so viele ESL in den Läden. Das wird aber kommen.“
Die Vorteile für Kunden und Einzelhändler
Vielleicht können die Vorteile der ESL für Kunden und Einzelhändler gegen die Angst vor der digitalen Veränderung helfen. Zum einen beugen gerade die digitalen Etiketten falschen Preisen vor, da sie – wenn sie einmal mit dem Warenwirtschaftssystem verbunden sind – genau den Preis anzeigen, auf den auch die Kasse zugreift. Und der ist es übrigens, der letztlich zählt.
Zum anderen werden die ESL im stationären Handel eingesetzt, um mit den Preisen im Onlinehandel mithalten zu können. Der Online-Offline-Vergleich von Preisen ist bei Kunden gerade im Bereich Consumer Electronics gang und gäbe – im Laden wird das Produkt angesehen und ausprobiert, dann werden im Internet Preise vergleichen. Das bessere Angebot gewinnt. Stark unterschiedliche Preise, sowohl im eigenen Online-Shop als auch bei der Konkurrenz, wirken abschreckend und lassen den Kunden natürlich das preiswertere Angebot wählen. Für stationäre Einzelhändler ist es deshalb überlebenswichtig, dem Kunden stets den günstigsten Preis anzubieten.
Der Preisvergleich kann bereits über Softwarelösungen geschehen, die die Preise aus dem Netz unterschiedlicher Anbieter vergleichen und dem Category Manager präsentieren. Dieser kann den Preis nun anpassen oder sogar automatisch anpassen lassen. Auf Knopfdruck kann das in allen Filialen passieren. Ansonsten würde das mit einem Tag Verzögerung geschehen, was wiederum Umsatzverluste bedeutet.
Ein weiteres Topthema ist die nachhaltige Preisgestaltung. In Supermärkten werden die digitalen Schilder vermehrt im Obst- und Frischebereich genutzt. Lebensmittel, die leicht verderblich sind, können so zum Abend hin beispielsweise im Angebot abverkauft werden, um Abschriften zu verringern. In Zeiten von heiß diskutierten Themen wie Food-Waste kann dies dem Händlerimage nur guttun. Am Rande bemerkt: Mittlerweile gibt es sogar ESL mit einer gewissen Schutzklasse, die in der Spülmaschine gereinigt werden können.
Grundsätzlich spart die Nutzung von ESL Zeit. Zeit, die dann in die Beratung von Kunden auf der Fläche gehen kann – das sind Erkenntnisse, die Händlern wie Media Markt und Poco besonders am Herzen liegen.
Neue Möglichkeiten mit ESL
Generell haben sich die Möglichkeiten von ESL stark verbessert. Mit erweiterten Anzeigemöglichkeiten wie der Dreifarbigkeit (weiß-schwarz-rot und neuerdings auch weiß-schwarz-gelb), der Anzeige von Symbolen und der verbesserten Sichtbarkeit unabhängig vom Lichteinfall dank der E-Paper-Technologie sind sie nicht nur ansehnlicher geworden, sondern können darüber hinaus auch Zusatzinformationen bieten.
„Man könnte durchaus programmieren, dass sich Preise vom Regal bis hin zur Kasse nicht verändern. Wie beim Parkhaus – da hat man auch 15 Minuten Zeit zum Herausfahren.“ (Prof. Dr. Martin Fassnacht, WHU – Otto Beisheim School of Management)
„Mit den ESL wird nicht versucht, den Kunden hinters Licht zu führen, sondern sich dem veränderten Kaufverhalten anzupassen.“ (Arne Jürgensen, CEO der xplace GmbH)
Für die Einzelhandelsfläche entwickeln sich einige Möglichkeiten, die bislang allerdings noch in den Kinderschuhen stecken. NFC (die Near Field Communication ist derzeit nur mit Android-Geräten lesbar) und Beacon können in den ESL untergebracht werden und neue Kunden-Ansprachemöglichkeiten bieten. Dann allerdings verbrauchen die ESL mehr Strom. Können sie bei einfacher Preisschildfunktion fünf Jahre ohne Batteriewechsel auskommen, müssen beispielsweise bei Beaconnutzung schon nach einem Jahr die Energiespender erneuert werden, da sie dauerhaft Strom ziehen.
In manchen Bereichen, wie der Logistik beispielsweise, sind das allerdings Aspekte, die in Arbeitsabläufe mit eingeplant werden können. Gerade Lagerbereiche, in denen Lagerorte häufig wechseln, können davon profitieren, von der Papierbeschriftung auf die zeitlich flexiblere digitale Variante umzusteigen. Auch hier ist einiges im Gange.
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Die Zukunft hat bereits begonnen
Während die meisten Einzelhändler ESL erst noch als Möglichkeit in Erwägung ziehen und die noch relativ hohen Anschaffungskosten mit den Vorteilen abwägen, setzen Media Markt und Saturn sogar schon Assistenzroboter und Indoor-Navigation ein, die sich mithilfe der Schilder im Store orientieren. Weitere Pläne sind geschmiedet: „Derzeit werden auf den elektronischen Preisschildern neben dem jeweiligen Preis auch die Produktbezeichnung sowie relevante Produktfeatures angezeigt. Künftig wollen wir die Preisschilder auch nutzen, um Kunden zusätzliche Informationen anzubieten: Per Smartphone könnten sie künftig beispielsweise auch technische Daten, Filmclips oder andere Infos zu Artikeln vom Preisschild abrufen“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens.
Tatsächlich stehen mit ESL einige Möglichkeiten bereit. Um auch in Zukunft das Vertrauen der Kunden zu erhalten, ist der verantwortungsvolle Umgang damit besonders wichtig. Sicher ist bloß: Jeder Kunde wird sich über den günstigsten Preis freuen.