Im Handumdrehen die Uhr umdrehen
Interview zum Thema Gestensteuerung bei der Produktbetrachtung
Garamantis
Das Berliner Unternehmen Garamantis hat in Hongkong ein Geschäft für Luxusuhren mit Gestensteuerung für die Produktbetrachtung ausgestattet. Mit der Technologie lassen sich die wertvollen Uhren von allen Seiten anschauen, ohne sie berühren zu müssen – hygienisch und sicherheitstechnisch wichtige Aspekte. Wir haben mit Oliver Elias, Gründer und Geschäftsführer von Garamantis, über die Technologie und ihre Einsatzmöglichkeiten für Händler*innen gesprochen.
Herr Elias, Wie kam es zu der Idee, eine Technologie zur Gestensteuerung zu entwickeln?
Oliver Elias: Die Idee kam durch ein konkretes Projekt zu Stande. Ein Uhrensammler aus Hongkong kam auf uns zu und wollte für seinen ersten physischen Shop ein außergewöhnliches Erlebnis schaffen, das berührungslos funktionieren sollte. In Zeiten von Covid und mit Blick auf die stark umkämpfte Aufmerksamkeit der Kund*innen erschien uns das eine gute Idee zu sein. So entwickelten wir die Gestenerkennung mittels Lidar-Sensoren (zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, kurz für „light detection and ranging“), die Drehteller und die Steuerung per Content-Management-System. Zuvor hatten wir schon einige Projekte mit kamerabasierten Verfahren durchgeführt und daher schon eine recht genaue Vorstellung davon, welche Vorteile diese Technologie bringen sollte.
An welchen Stellen in Geschäften und für welche Zwecke kann die Technologie besonders gut eingesetzt werden?
Oliver Elias: Grundsätzlich eignet sich diese Technologie bei allen Produkten oder Exponaten, die vor direktem Zugriff geschützt werden sollen, also beispielsweise Schmuck, Luxusartikel oder auch besondere Exponate. Wir können bei den Produkten mit nahezu jeder Größe und jedem Gewicht umgehen, indem wir sehr kleine oder auch sehr große Drehteller bauen. Es kommt generell auf eine besondere Inszenierung insgesamt an. Also welche Geschichte erzählt der Shop mittels klassischer Schaufenstergestaltung in Kombination mit Licht, interaktiven Elementen wie Screens und eben den Drehtellern. Wir legen großen Wert auf eine spielerische und intuitive Interaktion.
Welche Vorteile bietet die Gestensteuerung gegenüber einer Touch-Steuerung?
Oliver Elias: In Zeiten der Pandemie ist die zuverlässige und störunanfällige Gestenerkennung ohne Berührung der größte Vorteil. Nicht zu unterschätzen ist auch der Aha-Effekt über die neuartige Interaktion an der Vitrine oder dem Schaufenster. Als Shop-Betreiber*in freut man sich über Videos und Bilder auf Instagram und anderen Social-Media-Plattformen, die die Kundschaft nutzt.
Wie gut reagiert das System auf Handbewegungen? Wie oft kommt es z.B. vor, dass man eine Bewegung mehrmals ausführen muss, bevor das System sie erkennt?
Oliver Elias: Das Setup, um mit den Fingern auf Produkte oder Elemente zu zeigen und diese somit zu aktivieren, funktioniert sehr gut. Auf den Screens erzeugt der Finger einen kleinen Cursor, der sich schnell füllt. Bleibe ich zwei Sekunden auf einem Punkt, wird das als Aktivierung bzw. „Klick“ gewertet. Auch das Rotieren der Produkte in beide Richtungen per Wischgeste funktioniert gut. Problematisch ist dagegen ein sehr schnelles Hin-und-Her-Wischen vor den Produkten, da der Laser dann keine eindeutige Richtung der Geste erkennen kann.
Wie exakt kann das System Bewegungen von verschiedenen Personen auseinanderhalten?
Oliver Elias: Das stellte sich in der Praxis als unproblematisch heraus. Das Content-Management-System kennt die genaue Position der Produkte oder Screens im Schaufenster. Somit ist für jede Fläche klar, was dort gesteuert werden kann und soll. Solange sich Besucher*innen nicht berühren oder sich gegenseitig aktiv in ihrem Bereich behindern, können beliebig viele Gesten gleichzeitig verarbeitet werden.
Besteht nicht die Gefahr, dass das Kund*innen auch abschreckt, weil sie vor anderen Leuten nicht in der Luft „rumfuchteln“ bzw. sich „zum Affen machen“ wollen?
Oliver Elias: Das Wissen, dass es diese Interaktionsmöglichkeit überhaupt gibt und die Akzeptanz sind ganz wichtig bei solchen Installationen. In dem konkreten Fall des Uhren-Shops in Hongkong gibt es beispielsweise immer genügend Personal, welches die Kund*innen sozusagen an die Hand nimmt, das System beiläufig zeigt und zum eigenen Ausprobieren ermuntert. Das besagte Schaufenster ist zudem innenliegend im Shop. Man kann also in relativ geschütztem Raum ausprobieren. Zudem haben wir die Gestenerkennung relativ sensitiv konzipiert, damit kleine Gesten zur Steuerung ausreichen und man eben nicht „herumhampeln“ muss.
Für welche weiteren Branchen bzw. Geschäfte ist das System vorstellbar? Macht es auch Sinn, die Steuerung für Produkte außerhalb des Luxus-Sektors zu nutzen?
Oliver Elias: Wir haben schon viele Ideen und auch erste Anfragen aus anderen Branchen. Gerne würden wir diese Technik auch in Museen und Kunsthäusern Einzug halten lassen. Beispielsweise drehen wir im neuen Samurai Museum in Berlin ganze Krieger mit Samurai-Rüstung auf Drehtellern. Aber auch in Showrooms von Unternehmen kann es Sinn machen, Exponate auf diese Art interaktiv zugänglich zu machen.
Welche Voraussetzungen müssen seitens der Händler*innen gegeben sein, um ihr Schaufenster mit Ihrem System auszustatten?
Oliver Elias: Der Wille und etwas Experimentierfreude reichen eigentlich schon aus. Die Art und Stärke des Glases sind für diese Technik egal. Platzsparend und flexibel skalierbar ist sie ebenfalls. Als Händler*in kann ich mit einem einzelnen Drehteller oder einer kleineren Vitrine anfangen und dann schauen, wie es bei der Kundschaft ankommt, bevor ich das System erweitere.
Welche Kosten kommen dabei auf Händler*innen zu?
Oliver Elias: Die Kosten sind so flexibel wie es das Gesamtsystem ist. Da wir auf Projektbasis arbeiten und keinen Produktkatalog haben, beraten wir gerne kostenlos und unverbindlich bei jeder Anfrage individuell. Ab einem mittleren fünfstelligen Budget kann das interaktive Schaufenster in jedem Fall zu einem Highlight des Shops werden.
Gibt es bereits konkrete Pläne, das System auch in Deutschland einzusetzen?
Oliver Elias: Wir evaluieren gerade die Möglichkeiten für einen ganzjährigen Außeneinsatz an einem hochfrequentierten Schaufenster in Berlin. Ich hoffe, dass wir diesen Anwendungsfall ebenfalls bald im Repertoire haben.
Auf welche Weise kann das System in Zukunft noch verbessert oder erweitert werden? Ist z.B. eine Nutzung ohne Bildschirme, vielleicht mittels holografischer Projektionen, denkbar?
Oliver Elias: Wir sind gespannt, welche Ideen und Herausforderungen noch an uns herangetragen werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir darauf eine passende technische Antwort finden und realisieren können. Holografische Effekte können wir heute schon steuern, da es sich ja lediglich um eine schöne Lichtbrechung auf physischen Oberflächen handelt. Bis „echte“ Holografie erfunden wird, dauert es leider noch viele Jahre. In der Zwischenzeit realisieren wir aber gerne alle technisch möglichen interaktiven Exponate!
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