Interview • 06.10.2011
Online-Marketing wird zum Muss, ROI ist aber kaum kalkulierbar
Interview mit Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des IfH, Institut für Handelsforschung an der Uni Köln
Keine Angst vor Social Media: „Wir stellen häufig fest, dass gerade unsachliche Kundenkritik häufig von anderen Kunden entkräftet wird“, sagt Dr. Kai Hudetz.
Bild: IfH
„Unsere Projekte sind zwar wissenschaftlich fundiert, aber stets praxisrelevant“, sagt Dr. Kai Hudetz über seine Arbeit. Den Schwerpunkt bilden Auftragsprojekte für Entscheidungsträger im Handel. Sie wollen sich auf empirischer Basis besser an Kunden und potenziellen Käufern orientieren. Das IfH will aber auch Herstellern oder Dienstleistern helfen, den Handel besser zu verstehen. Wir haben den Geschäftsführer zu aktuellen Themen im E-Commerce befragt.
Muss denn wirklich jeder kleine Händler einen Webshop haben und auf allen Kanälen investieren?
Dieser Eindruck könnte angesichts der aktuellen Diskussionen entstehen, wäre aber falsch. Es gibt im E-Commerce keine Pauschallösungen, jeder Händler muss seine individuelle Online-Strategie finden – abgestimmt auf seine Kunden und Märkte. Nicht jeder kleinere stationäre Händler muss einen eigenen Webshop haben, aber jeder braucht eine Online-Strategie. Online-Marketing wird zunehmend zum Muss, um die Kunden von heute, aber vor allem von morgen anzusprechen. Wer keinen eigenen Online-Shop betreiben kann, für den ist vielleicht der Verkauf über einen Online-Marktplatz wie eBay, Yatego oder Tradoria eine Alternative, denn Kunden erwarten zunehmend, dass sie auch bei kleineren Händlern online einkaufen können. Das Internet kann kein Händler mehr ignorieren – egal wie klein er ist.
Wie berechnet man den ROI bei der Einführung neuer Kanäle? Schließlich lässt sich kaum sagen, wer ohne die neue Maßnahme abgewandert wäre.
Das ist leider ein großes Problem für den Handel. Wenn überhaupt, werden die ROIs der jeweiligen Kanäle getrennt ermittelt, wobei die Wechselwirkungen zwischen Online-Shop und stationärem Geschäft vernachlässigt werden. Um den ROI eines Online-Shops für einen stationären Händler korrekt zu berechnen, müssen die Kaufimpulse des Shops für das Ladengeschäft ebenso mit einbezogen werden wie der Kannibalisierungsgrad, also der Anteil der Online-Umsätze, die dem stationären Geschäft verloren gehen. In der Praxis ist dies sehr schwierig, was häufig zu einer Unterbewertung der Bedeutung des Online-Shops führt.
Muss sich der Handel vor bösen, unsachlichen User-Kommentaren und Bewertungen im Social Web fürchten?
In der Tat gibt es böse, unsachliche User-Kommentare und Bewertungen im Social Web. Dies stellt für den Handel ebenso ein Problem dar wie für Hersteller oder Handwerker. Händler sollten daher auf jeden Fall permanent beobachten, was im Netz über sie gesprochen wird, um gegebenenfalls rasch reagieren zu können. Wir stellen aber häufig fest, dass gerade unsachliche Kundenkritik häufig von anderen Kunden entkräftet wird. Es kommt somit entscheidend darauf an, die Stammkunden im Social Web zu aktivieren.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Wir fokussieren unsere Aktivitäten im Institut auf Schwerpunktthemen, die wir dann fortlaufend mit Studien und Auftragsprojekten analysieren. Hierzu gehören zentrale E-Commerce-Themen wie Multi-Channel-Management, Social Media, Mobile Commerce und Zahlungssysteme im Online-Handel. Zum E-Commerce betreiben wir mit Unterstützung des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter
www.ecc-handel.de eine Informationsplattform, auf der wir unter anderem unsere Studienergebnisse präsentieren. Darüber hinaus beschäftigen wir uns aktuell beispielsweise mit dem Handel als Arbeitgeber, Handelsmarken und Nachhaltigkeit.
Sie haben gerade den neuen ECC-Shopmonitor veröffentlicht. Was sind die wesentlichen Ergebnisse?
Der ECC-Shopmonitor ist ein Image-Ranking der zwanzig umsatzstärksten Online-Shops und Shopping-Portale in Deutschland, das wir monatlich in Zusammenarbeit mit IBM Deutschland erheben. Bereits seit der ersten Studie im Oktober 2009 führt Amazon das Ranking deutlich an. Im Mittelfeld hingegen liegen die Online-Händler eher nah beieinander und sind Schwankungen im Ranking ausgesetzt. Die September-Ergebnisse zeigen insbesondere, dass sich die Versandhändler aktuell etwas schwer tun. Für viele Händler, die aus dem klassischen Kataloggeschäft stammen, scheint die richtige Mischung aus modernem Image für die junge Online-Zielgruppe und der Kundenbindung bestehender Katalogkunden eine große Herausforderung zu sein. So finden sich die klassischen Versandhäuser wie Otto, Neckermann, Bonprix, Heine und Baur in der unteren Hälfte des Image-Rankings wieder.
Wie entwickeln sich die Webseiten des Handels hinsichtlich Usability?
Die Usability spielt im Online-Handel eine übergeordnete Rolle. Ein potenzieller Kunde entscheidet meist innerhalb weniger Klicks, ob es sich lohnt, zu bleiben oder nicht. Und mit der steigenden Selbstverständlichkeit des Internets als Einkaufskanal steigen auch die Ansprüche der Nutzer. Eine gut funktionierende Artikelsuchfunktion ist dabei das A und O. Untersuchungen belegen, dass mehr als die Hälfte der User eines Online-Shops sofort die Suche nutzt, ohne sich die Seite zuvor genauer anzuschauen. Viele Verkäufe werden sogar direkt über eine Suchanfrage generiert. Schreibfehler sollten dabei keine Rolle spielen.
Beim Bezahlen werden viele Bestellungen abgebrochen. Gibt es dazu konkrete Zahlen? Was machen Online-Händler falsch? Welche Bezahlverfahren empfehlen Sie?
Die Auswahl der richtigen Bezahlverfahren ist ein zentraler Erfolgsfaktor im Online-Handel. Die Zeitverzögerung beim Austausch von Ware und Geld im Distanzhandel birgt für Händler und Kunden gleichermaßen Risiken. Studienergebnisse zeigen, dass 80 Prozent der Kunden den Kauf abbrechen, wenn nur die Zahlung per Vorkasse angeboten wird. Für den Händler wiederum sind Zahlungsausfälle bei einem Kauf auf Rechnung ein Risiko, das er zu vermeiden versucht. Um Kaufabbrüche zu mindern, sollte jedoch nicht nur das eigene Risiko minimiert werden. Es gilt, einen optimalen Payment-Mix zu gestalten, in dem sich die Zielgruppe wiederfindet. Neuere Internet-Zahlungsverfahren wie PayPal, Giropay oder ClickandBuy sowie Payment Service Provider, die nicht nur die Abwicklung, sondern auch das Risiko für den Händler übernehmen, können hierbei eine zielführende Unterstützung sein.
Welche Händler sind in Sachen E-Commerce und Multi-Channel besonders innovativ?
Viele Händler stehen hier erst noch am Anfang, einige Multi-Channel-Händler machen ihre Sache aber schon sehr gut. Als erstes fällt mir Globetrotter ein, die Ihren Kunden kanalübergreifend ein einheitliches Erlebnis bieten: von der Filiale über das Handbuch und den Online-Shop bis hin zur iPad-App. Die Filialisten Deichmann und Görtz nutzen den Online-Shop geschickt, um das Ladensortiment virtuell zu erweitern und online neue Kunden zu gewinnen. Der frühere Versandhändler Lascana bietet sein Wäschesortiment mit einem integrierten Konzept auch erfolgreich in Ladengeschäften an. Auch Douglas setzt im Beauty-Bereich auf innovative Konzepte zur Kundenansprache und nutzt die Kundenkarte kanalübergreifend zur Kundenbindung.
Bestellen Sie selbst auch im Internet? Was werden Sie auch künftig im Laden kaufen?
Ja, ich bestelle regelmäßig im Internet, über alle Produktkategorien hinweg. Den Großteil meiner Einkäufe tätige ich aber nach wie vor im stationären Handel. Ich bin vermutlich recht typisch für den Konsumenten der Zukunft, denn ich entscheide rein situativ, ob ich online oder stationär kaufe. Wann brauche ich das Produkt? Möchte ich es vor dem Kauf sehen? Hat das Ladengeschäft noch geöffnet? Wie groß sind die Preisunterschiede? Konsumenten der Zukunft werden Internet-Handel und stationären Handel ganz selbstverständlich miteinander verbinden.
René Schellbach, iXtenso.com