Ein Blick zurück: Deutschland, 2007. Digital Signage ist neu und wird als der nächste große Wurf für POI, POS und Out-Of-Home gefeiert. Integratoren, Hardwarehersteller und Vermarkter positionieren sich, Verbände werden gegründet, Maximal-Prognosen für die Marktentwicklung entwickelt.
Die Visionen: Digital Signage wird zum Leitmedium, globale Screen-Netzwerke bieten unerschöpfliche Vermarktungspotentiale, Konsumenten interagieren mit Screens auf die unterschiedlichste Weise.
Dann: 2012. Um Digital Signage scheint es ruhig geworden; selbstverständlich wächst die Zahl der sichtbaren Screens beständig. Dennoch sprechen wir kaum noch über Netzwerke mit nationaler oder gar internationaler Reichweite, jederzeit mögliche Fremdvermarktung oder Interaktivität. Grundsätzlich erscheinen große Digital Signage-Projekte aber als sehr komplex, ihr Nutzen gilt als überschaubar.
Weitere fünf Jahre später scheint Digital Signage nun eine Renaissance zu erleben. In Deutschland, aber auch international sehen wir wieder deutlich größere und prominentere Projekte. Für den deutschen Markt stehen sicher die ooH-Netzwerke im Nahverkehr etlicher Städte und der Flughäfen, vor allem aber die Netzwerke im Lebensmittelhandel (real, Kaufland, Teilen der EDEKA, perspektivisch auch Aldi und möglicherweise Lidl).
Woher kommt die Renaissance von DS?
Zunächst einmal: Es ist keinesfalls eine Frage der optimierten Effizienz oder einer plötzlich erwachten Kundenbegeisterung. Die Awareness- und Recall-Quoten zumindest unserer Messungen bei einer Vielzahl von DS-Projekten sind in den letzten Jahren erstaunlich stabil geblieben (und schwanken bei einer Nettoreichweite von 25-40 Prozent). Verändert hat sich allenfalls die Zielgruppenresponse: Vor allem bei sehr jungen Zielgruppen sehen wir noch schwächere Aktivierungspotentiale – die Generation Online hat eben gelernt, wie man Informationsrauschen ausblenden kann. Im Gegenzug haben sich aber sicher die Erfahrungen mit einer DS-gerechteren Contentaufbereitung ausgewirkt: Wir sehen weitaus weniger den erzählenden, TV-ähnlichen Stil der Anfangsjahre, die Informationsvermittlung erfolgt deutlich fokussierter, die Usability im Hinblick auf Lesbarkeit, Umschaltzeiten, Split-Screens hat sich deutlich verbessert.
Wenn Digital Signage also nicht effizienter geworden ist, muss es andere Gründe geben, warum Netzwerkbetreiber wieder stärker auf das Medium setzen. Sie begründen sich vermehrt in den sekundären Kommunikationszielen, die mit dem Einsatz von Digital Signage verbunden werden:
- Store-Modernisierungen waren das Handels-Thema der letzten Jahre. Der Einzug von Bewegbild gilt häufig als besonders sichtbarer Beleg von Modernisierung, nicht zuletzt auch von Digitalisierung der Filialen. Wer beweisen will, dass Digitalisierung auch auf der eigenen Fläche Einzug hält, tut dies eben unter anderem durch die Nutzung von Screens – ein Argument, das auch bei Shoppern ankommt.
- Vor allem den technischen Anbietern der DS-Branche gelingt es dabei zunehmend, Screens und Technik besser in das Store-Design zu integrieren. Wo wir vor zehn Jahren noch notdürftig an die Decke geschraubte Fernseher erlebten, sehen wir heute sorgsam integrierte Screens, edle Screen-Rahmen und eine optimale Einbindung des Contents in das Store-Design. Digital Signage ist in jeder Hinsicht im Ladenbau angekommen.
- Ein weiteres Argument: Handel möchte wieder mehr Geschichten erzählen. Breite Sortimente und Niedrigpreise gelten mehr und mehr als Domäne der Online-Shops, der stationäre Handel soll vermehrt Emotionen vermitteln, Markengeschichten transportieren und Kunden unterhalten oder inspirieren. Hier hilft Bewegtbild ganz besonders und kann eben diese Ziele gut unterstützen.
- Schließlich ist der Umgang mit DS-Medien professioneller und situationsgerechter geworden. Wurden in den Anfangsjahren noch TV-Spots für DS recycelt, wird heute häufiger explizit für DS produziert oder kann auf das breite Portfolio an Online-Bewegtbild zurückgegriffen werden. So entstandener Content passt dann viel besser in die fluide Rezeptionssituation von Digital Signage.
Insofern dürfte für den neuerlichen Erfolg von Digital Signage vor allem der professionellere und angemessenere Umgang mit dem Medium ausschlaggebend sein. Digital Signage ist kein schwer zu handhabender Fremdkörper im Handelskonzept, sondern fügt sich in das Konzert der POS- und POI-Medien ein.
Systematischeres Spielen mit Benefits
Auf dieser Basis zeigt sich nunmehr auch ein vielfältigerer Umgang mit Digital Signage-Lösungen. Es geht nicht mehr um das universelle Leitmedium, sondern um einen gezielteren, fokussierteren Einsatz von Screennetzwerken. DS soll nicht mehr zugleich unterhalten, verkaufen, orientieren und informieren, sondern häufig nur eine dieser Aufgaben übernehmen.
Auf der Basis unserer Analysen haben sich hier vor allem drei Aufgaben herauskristallisiert, die DS (im Handel) besonders gut erfüllen kann. Navigation – vor allem auf einer impliziten Ebene (in dem beispielsweise Herrenmode in der Herrenabteilung gezeigt wird oder das Aktionsangebot für Joghurt die MoPro-Abteilung indiziert). Emotionalisierung – indem (Marken-)Geschichten erzählt werden, Gefühle des Kunden aufgenommen und verstärkt werden oder einfach gestalterische Stimmung erzeugt wird. Abverkauf – hier vor allem als aufmerksamkeitslenkendes Tool, das auf Zweitplatzierungen, Handzettelangebote und so weiter verweist.
Eher schwierige Erfahrungen haben wir vor allem mit den Kommunikationszielen „Information“ und „Unterhaltung“ gemacht. Beide Ansätze entsprechen nicht den typischerweise flüchtigen, oberflächlichen Rezeptionssituationen, die mit der DS-Nutzung einhergehen. Nur in expliziten Wartesituationen, in denen DS echte Mediendominanz zeigt, kann wirklich informiert oder unterhalten werden.
Massiv schwierig werden die Erfahrungen aber, wenn wir interaktive Digital Signage-Lösungen untersuchen. Geht es um die Erwartung, dass Kunden mit Digital Signage interagieren, bleiben Response-Raten in typischen Handelskontexten zumeist im homöopathischen Bereich (wirklich attraktive spielerische Ansätze und lukrative Gewinnspiele ausgenommen). Hier hat sich einfach das Smartphone als das gelernte Interface für alle Formen der Interaktivität etabliert.
Ebenso schwierig zeigen sich Lösungen, die auf das Erfassen von Personendaten oder Bewegungsmustern (und die darauf aufbauende Adaption von Inhalten setzen). Solchen Ansätzen stehen fast immer ein marginaler Benefit für den Konsumenten einerseits und massive datenschutzrechtliche Erregung andererseits entgegen. Die jüngsten Diskussionen um die DS-Netzwerke von real und Deutscher Post haben genau dies gezeigt: Das Versprechen relevantere Werbung auszustrahlen ist für viele Shopper eben kein Argument, sich auf eine schwer durchschaubare Erfassung biometrischer Daten einzulassen.
Wenn dann noch Anbieter versprechen, durch das Tracken von Emotionen Shopper effizienter anzusprechen, ist final Skepsis angezeigt: Der POS bietet überwiegend zu wenig starke Trigger, um ein Emotionstracking sinnvoll einsetzen zu können. Unsere Messergebnisse zeigen durchgehend einen hohen Anteil von Neutralwerten und es wäre auch überraschend, wenn Jogurtregale systematisch Überraschung und die Waschmittelabteilung (messbares) Erstaunen hervorrufen würden.
2027: Wo werden wir stehen?
Salopp gesagt: Digital Signage scheint den Kinderschuhen entwachsen und auch die Wirren der Pubertät scheinen überstanden. Nun im jungen Erwachsenenalter steht Digital Signage vor der Aufgabe, seinen Platz im Konzert der POI- und POS-Medien zu finden. Digitalisierung und Preisentwicklungen sprechen dafür, dass genügend und hinsichtlich ihres Nutzens klar definierte Entfaltungsmöglichkeiten bestehen.
Herausforderungen sehen wir weiterhin darin, Content besser auf die jeweiligen Settings anzupassen und situationsgerechter auszuspielen. Das kann gelingen, indem Digital Signage-Inhalte noch stärker an Veränderungen der Kundenbedürfnisse im Tagesverlauf oder touchpointspezifische Erwartungen angepasst werden oder stärker an die Sortimentsdynamik angebunden werden (der Aktionsjoghurt ist ausverkauft, also verschwindet auch der DS-Spot).
Ein weiteres wichtiges Thema wird die Beziehung zwischen Public Screen (Digital Signage) und Private Screen (Smartphone) sein. Hier geht es nicht nur um einen Aufmerksamkeitswettbewerb, sondern auch um intelligente Verknüpfungen beider Medien.
Herausforderungen bestehen sicher auch noch einmal in einer regulativ-politischen Hinsicht. Die Diskussionen über Visual Noise, Privatsphäre und Lichtverschmutzungen scheinen gerade in den letzten zwei Jahren wieder eine neue Dynamik zu gewinnen. Digital Signage muss hier klar seinen eigenen Nutzen definieren, aber auch seine eigenen Grenzen setzen.