„Mobiles Bezahlen kann am fehlenden Wissen und Willen des Kassenpersonals scheitern“
Interview mit Professor Ludwig Hierl von der DHBW Heilbronn
PantherMedia/Leung Cho Pan
Der Erfolg neuer Technologien steht und fällt in der Praxis mit der Akzeptanz der Menschen, die sie anwenden. Im Bereich des mobilen und kontaktlosen Bezahlens im Einzelhandel liegt da noch einiges im Argen, wie Professor Ludwig Hierl im Gespräch mit iXtenso betont. Lösungsvorschläge, die Mitarbeitern und Kunden die Bezahlmethode schmackhaft machen können, liefert er aber gleich mit.
Professor Hierl, eigene Erfahrungen haben gezeigt, dass in unterschiedlichen Supermärkten Mitarbeiter an der Kasse nicht wissen, wie kontaktloses Bezahlen funktioniert. Was sagen Sie dazu?
Untersuchungen zeigen, dass nach einer Umstellungs- und Eingewöhnungsphase ein kontaktloses Bezahlen mit Debit- und Kreditkarten bereits relativ gut funktioniert, sofern Kassenterminals dafür entsprechend angepasst und Kassenkräfte kurz eingewiesen wurden. Anders verhält es sich bei Zahlungen mit Mobiltelefonen. Hier hat ein Praxistest unter realen Einkaufsbedingungen an 261 über das Bundesgebiet verstreuten Point-of-Sales (POS) von 119 Unternehmensgruppen gezeigt, dass Mobile Payment auch am fehlenden Wissen oder Willen des Kassenpersonals scheitern kann.
"Perspektivisch gehe ich davon aus, dass Kunden auf die Mitführung einer mit Münzen sowie Bank- und Kundenkarten überfüllten Geldbörse verzichten möchten." (Prof. Ludwig Hierl)
Wie könnten Einzelhändler Kunden und Mitarbeitern ein Bezahlen mit dem Smartphone näherbringen?
Zunächst ist festzuhalten, dass ein bedarfsauslösender Leidensdruck für die Einführung neuer Zahlungsinstrumente an deutschen POS weder für Händler, noch für Kunden gegeben ist, zumal bereits ausreichend viele Alternativen für ein bargeldloses Bezahlen verfügbar und bewährt sind. Es ist daher davon auszugehen, dass die neu hinzugekommene Option einer Bezahlung mit dem Mobiltelefon für alle Beteiligten Nutzungsanreize benötigt. Gerade für kleinere Einzelhändler eröffnen sich bei einer bewussten Einbettung von Kunden-Mobilgeräten im aktuellen Verdrängungswettbewerb Chancen zum Fortbestand, mit Kostenvorteilen gegenüber dem immer teurer werdenden Bargeldhandling. Dass dies auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, sollte den Mitarbeitern verdeutlicht werden. Um Kunden von einer Nutzung von Mobile Payment zu überzeugen, reicht das zur Verfügung stehende Spektrum von Rabatten, Gutscheinen, Bonuspunkten, speziellen (lokalen) Angeboten und zusätzlichen Produktinformationen bis hin zu einem automatisch generierten Haushaltsbuch zur Budgetkontrolle. Zur Überwindung von Vorbehalten könnten quasi in einer Art „Probieraktion“ werthaltige Give-aways zum symbolischen Preis von 1 Cent an die Kunden abgegeben werden, die ein Bezahlen mit dem Mobiltelefon testen möchten.
Sie haben herausgefunden, dass viele Einzelhändler, die mobiles Bezahlen anbieten, es gar nicht richtig umsetzen. Was muss sich hier tun?
Gerade im Spannungsfeld der Diskontinuität, das in der Handelsbranche besonders ausgeprägt zu sein scheint, ist es wichtig, neuere Ansätze und Entwicklungen nicht einfach nur zu übernehmen („me too“). Bei einer in der Praxis häufiger zu beobachtenden halbherzigen Adoption ist ein Misserfolg zu erwarten. Im Hinblick auf die Zielsetzung einer stärkeren Wettbewerbsdifferenzierung gilt es, Out-of-the-(Standard)-Box-Überlegungen zu tätigen und idealerweise Alleinstellungsmerkmale zu generieren. Die zunehmende Digitalisierung eröffnet hier zahlreiche Möglichkeiten, die integrativ aufeinander abgestimmt werden sollten. Mobiles Bezahlen ist hier lediglich ein Element.
In Kürze: Welche Tipps haben Sie für Einzelhändler, die Zahlungen via NFC- oder QR-Verfahren anbieten möchten?
Zunächst gilt es, sich zu informieren und die aufgrund von neuen Kassenbuchführungsrichtlinien zumeist ohnehin erforderlichen Investitionen für Soft- und Hardware zu tätigen. Idealerweise würde in diesem Zusammenhang Mobile Payment nicht auf eine reine Bezahlfunktion reduziert, sondern als Teil einer umfassenden Mobilitäts- und Digitalisierungsstrategie verstanden werden. Bereits heute wäre es relativ einfach möglich, für die Kunden Zusatznutzen zu generieren. Beispiele sind die Übertragung von digitalen Kassenzetteln, die Führung digitaler Haushaltsbücher, die Individualisierung von Marketingmaßnahmen auf Basis von Nutzerinformationen, das Sammeln von digitalen Treuepunkten und deren elektronische Einlösung, die Zusammenstellung und Ausführung von digitalen Einkaufslisten sowie eine Indoor-Navigation. Weil dies bislang kein Händler in dieser umfassenden Form anbietet, ergäbe sich damit ein USP. Dieser Vorteil ist vom jeweiligen Händler natürlich situativ den dadurch bedingten zusätzlichen Investitionen gegenüberzustellen.
Woran scheiterten bisherige Angebote, die wieder vom Markt verschwunden sind?
Bereits seit mehr als einer Dekade werden mobile Bezahlapplikationen mit der Erwartung verbunden, dass sie eines Tages als integraler Bestandteil unseres Lebens den Bezahlalltag wesentlich prägen werden. Den zahlreichen in Deutschland gescheiterten Angeboten wie beispielsweise mPass, myWallet, SmartPass und Yapital ist gemeinsam, dass deren Zielsetzungen wohl zu ambitioniert waren und das multiattributive Mobile Payment-Erfolgsfaktorenmodell nicht hinreichend berücksichtigt haben. In Studien wird zumeist das Thema Sicherheit als wichtigstes Argument von Kunden angeführt. Weil Lösungen, die dies vollumfänglich zu berücksichtigen versuchen, zu komplex und zu teuer sind, ist ein Scheitern quasi systeminhärent. Eine absolute Sicherheit gibt es aber beispielsweise auch bei Geldautomaten nicht. Dies wird von den Kunden akzeptiert, weil im Manipulationsfall ein Entschädigungsanspruch besteht.
Wo findet Mobile Payment in der Praxis schon erfolgreich statt?
In unserem Praxistest war ein Bezahlen mit dem Mobiltelefon bei zwölf Unternehmensgruppen beziehungsweise mit vier Applikationen möglich. Es ist darauf hinzuweisen, dass dieser Praxistest eine Momentaufnahme darstellte. Ähnlich der Stichtagsproblematik bei Jahresabschlussanalysen ist es möglich, dass sich bereits unmittelbar vor oder nach dem jeweiligen Test ein völlig anderes Resultat hätte ergeben können, beispielsweise durch den Austausch einer nicht fachkundigen Kassenhilfskraft durch eine zu diesem Themenbereich geschulte Kassenfachkraft. Leider gab es auch einige Handelsgruppen der Kategorie „Kundenirreführung“, die noch auf Wallet-Bezahlapplikationen verwiesen, die zu diesem Zeitpunkt ihren Dienst bereits länger eingestellt hatten.
Worin sehen Sie mehr Potenzial für die Zukunft: Im kontaktlosen Bezahlen via Smartphone oder via Bezahlkarte?
Perspektivisch gehe ich davon aus, dass Kunden auf die Mitführung einer mit Münzen sowie Bank- und Kundenkarten überfüllten Geldbörse verzichten möchten. Der Zahlungsverkehrsmarkt scheint einen der letzten Lebensbereiche zu bilden, der noch nicht von Mobilgeräten durchdrungen und geprägt wird. Dies wird sich nach meiner Ansicht ändern. Fraglich ist nur wann.