Die vielen Lieferungen an Endkund*innen sind problematisch, sie verbrauchen Ressourcen, belasten die Umwelt und verstopfen die Straßen. Kommen dann noch mehrere Zustellversuche durch Anbieter oder Paketabholungen mit dem Auto durch Konsument*innen hinzu, potenziert sich das Problem.
Das Frankfurter Start-up Green Convenience möchte diese Herausforderung anpacken und dafür sorgen, dass die erste Zustellung nahezu immer klappt – und das ohne Überwachung. Wie sie sich das vorstellen und auch schon ausprobieren, erklärt uns Benjamin Dauth, Geschäftsführer und Mitgründer.
Benjamin, warum ist eine effiziente Letzte Meile so wichtig?
Die Letzte Meile verursacht in der B2C-Logistik die meisten Kosten und Emissionen. Dieses in der Logistikforschung lang bekannte und gut untersuchte Phänomen wird oft als das „Last Mile Problem“ bezeichnet.
Was sind häufige Probleme bei der Zustellung an die Endkund*innen?
Nach dem Durchschnitt von sechs internationalen Studien scheitern 19,7 % der Zustellversuche wegen Abwesenheit der Empfänger*innen – gerundet ist das jeder fünfte Zustellversuch. Die Folge sind wiederholte Zustellversuche oder Einlagerungen mit Paket-Abholfahrten der Konsument*innen.
Oftmals wird versucht dieses Problem durch das Vereinbaren von Lieferzeitfenstern zu vermeiden, was zu anderen Problemen führt. Konsument*innen warten ungern, daher belasten lange Lieferzeitfenster die Kundenbeziehung. Aber kurze Lieferzeitfenster führen zu ineffizienten Lieferrouten und sind schwerer einzuhalten. Laut einem mathematischen Modell der Universität Antwerpen sind scheiternde Zustellversuche und Ineffizienzen durch kurze Lieferzeitfenster im Durchschnitt für 45 % der B2C-Lieferkosten und Emissionen verantwortlich.
Es gibt eine Vielzahl an Lösungsansätzen, die jedoch alle nicht die von Konsument*innen geforderte direkte Übergabe sicherstellen. Laut einer internationalen McKinsey-Studie würden die durchschnittlichen Konsument*innen nur gegen Einsparungen von mehr als drei US-Dollar auf eine direkte Übergabe verzichten.
Wie hilft eure Lösung dabei, dieses Zustellproblem zu lösen?
Green Convenience sorgt automatisch für erfolgreiche erste Zustellversuche.
Die Lösung ermittelt über eine Big-Data-Analyse Kernzeiträume der Anwesenheit an Lieferadressen für die nächsten Tage – und dies individuell für jede Lieferadresse. (Dabei können auch Nachbarhaushalte berücksichtigt werden.) Bis zur Zustellung führt das System kontinuierlich Updates durch und korrigiert sich bei Bedarf selbst. Die Lösung lässt sich einfach in Liefersysteme integrieren. Der Erfolg des ersten Zustellversuchs lässt sich so automatisch sicherstellen.
Wie funktioniert das technologisch und welche Datenquellen nutzt ihr?
Unsere Lösung ist ein Mix aus KI-basierter Big-Data-Analyse und umfangreicher Datenschutz- und Sicherheitstechnologie. Die KI analysiert verschiedene Datenquellen und erkennt Muster. Unsere Vorhersagen basieren nicht auf der Information, wann eine Zustellung in der Vergangenheit erfolgreich war, sondern auf Anwesenheit an der Zustelladresse. Für einen Zustellzeitpunkt in drei Tagen haben sie eine Verlässlichkeit von 90 %. und werden verlässlicher, je näher die Zustellung rückt, da das System sich kontinuierlich selbst optimiert. Die zentralen Datenquellen und die Funktionsweise der eingesetzten Technologie sind vertraulich. Ergänzt werden sie durch weitere Informationen wie Wetterdaten, Wochentage oder regionale Feiertage, diese sind nicht essenziell, verbessern aber die Ergebnisse.
Wie lange dauert es, bis die Informationen für eine zuverlässige Datenbasis für ein Gebiet vorhanden sind?
Die volle Leistungsfähigkeit hat das System nach einem Zeitraum des Datensammelns von drei Monaten.
Werden sich dadurch die Lieferzeiten nicht enorm verdichten, weil abends statistisch am meisten Menschen zuhause sind?
Es ist wichtig festzuhalten, dass unsere Lösung nicht einfach nur in einem bestimmten Gebiet errechnet, wann die meisten Leute zu Hause sind. Solche sehr generischen Analysen gibt es bereits von anderen Anbietern. Und du hast recht damit, dass solche generischen Auswertungen immer zeigen werden, dass abends die meisten Leute zu Hause sind, was die Analyse unbrauchbar für Zustellungen macht.
Unser System prognostiziert Anwesenheit individuell auf Haushaltsbasis. Das bedeutet: Es sagt die Zeiträume voraus, an denen gewöhnlich immer mindestens eine Person in einem Haushalt anwesend ist. Wenn optional ein Nachbarhaushalt in der Berechnung hinzugefügt wird, sagt es die Zeiträume voraus, an denen gewöhnlich immer mindestens eine Person an der Lieferadresse oder im Nachbarhaushalt anwesend ist. Und diese Ergebnisse sind von Haushalt zu Haushalt sehr unterschiedlich und damit extrem wertvoll.
Ist eure Technologie schon im Einsatz?
Wir haben die Lösung in Zusammenarbeit mit unserem Partner „Self Organizing Systems Lab“ der TU Darmstadt erfolgreich getestet. Die Testung im Lieferbetrieb wird in Zusammenarbeit mit der HTW Berlin, der TU Darmstadt, verschiedenen Logistikunternehmen und anderen Partnern erfolgen. Wir sind sehr dankbar für die umfangreiche Unterstützung und dafür, dass interessierte Unternehmen auf uns zukommen.
Das alles klingt nach einer kleinen Revolution. Welche Vision habt ihr für die letzte Meile?
Unsere Vision ist, dass in Zukunft der erste Zustellversuch immer automatisch gelingt. Wiederholte Zustellversuche und Paket-Abholfahrten der Konsument*innen werden nur noch Erinnerungen sein. Dies wird Verkehr, Emissionen und Kosten reduzieren bei gleichzeitig verbesserter Customer Experience. Endkund*innen werden diesen Service erwarten und voraussetzen.
Welche Herausforderungen seht ihr für das ganze Thema Letzte-Meile-Logistik? Was muss und wird sich da tun?
Der Hauptgrund, warum B2C-E-Commerce existiert, ist der Wunsch nach Komfort. Konsument*innen werden das Liefererlebnis immer in ihre Entscheidung, wo sie einkaufen, einbeziehen. Diese empirisch belegte Tatsache wird unserer Erfahrung nach bei Lösungsansätzen für die Letzte Meile oft vernachlässigt oder von Wunschdenken überlagert. Die bittere Pille, dass Konsument*innen ihre Erwartungen an Preis und Komfort nicht senken, sondern steigern werden, schmeckt nicht jedem.
Auch Versuche die Konsument*innen dahin umzuerziehen ihre Pakete abzuholen, werden weiterhin mehrheitlich scheitern, weil so der Komfort des Onlinebestellens fehlt. Hinzu kommt, dass eine Paket-Abholfahrt der Konsument*innen nicht umweltschonender ist als ein erfolgreicher erster Zustellversuch durch Lieferdienste.