„Vor der KI ist nach der KI“
Das Deutsche Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz arbeitet auch für den Handel
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Im alltäglichen Einkaufen ist es vielen nicht bewusst, doch künstliche Intelligenz unterstützt den Handel – online wie offline – häufiger als vermutet. Einer, der mit seinem Institut daran arbeitet ist Prof. Antonio Krüger, seit 2019 CEO des DFKI.
Herr Krüger, warum wird künstliche Intelligenz im Handel immer wichtiger?
Antonio Krüger: Künstliche Intelligenz (KI) ist im Handel ein wichtiger Bestandteil, vor allen Dingen im Onlinehandel: In vielen Bereichen wird sie beispielsweise im Kundengeschäft genutzt, zum Beispiel als Empfehlungssystem, das entscheidet, was Kunden überhaupt präsentiert wird. Es gibt sie aber auch im stationären Handel bei Webseitenoptimierung oder Faltblattoptimierung. Hier kann man mithilfe von KI versuchen zu bestimmen, welche Inhalte wo gezeigt werden. Hier haben wir das Potential noch nicht voll ausgeschöpft.
Ein Anwendungsgebiet wäre zum Beispiel die Bedarfsprognose. Es ist immer noch offensichtlich, dass der Bedarf etwa im Lebensmitteleinzelhandel noch nicht korrekt abgeschöpft wird, es wird immer noch viel weggeworfen. Es ist eindeutig, dass da etwas nicht stimmt. Dann ist die Frage, worauf diese Diskrepanz, die dort herrscht, beruht.
Ein Teil beruht immer noch auf Unwissenheit und schlechten Vorhersagemodellen. Hier könnte KI helfen, das wäre sicher auch aus Kundensicht wünschenswert, da Sie sich Fragen wie, welchen individuellen Verbrauch habe ich, durch KI beantworten lassen. Möglich wäre auch, dass sie sich automatisch um die Nachbestellung des Versorgungseinkaufs kümmert und dieser dann automatisch ins Haus geliefert wird.
Wie können kleinere Einzelhändler von KI profitieren, auch im Online-Geschäft?
Wir haben mehr und mehr KI-Verfahren aus der Cloud und als Plattformdienste, auch für den Einzelhändler. Kleinere Händler können zum Beispiel im Rahmen von Handelsplattformen auf diese KI-Bausteine zurückgreifen. Das können wir vermehrt beobachten. Amazon bietet dieses Prinzip bereits teilweise an, wenn sie die Amazon-Cloud-Dienste verwenden, oder SAP, wo sie teilweise KI-Verfahren schon in Cloud-Diensten haben.
Wird KI im stationären Bereich schon flächendeckend eingesetzt?
Im stationären Handel wird KI für Planungsprozesse wie die Optimierung der Sortimentsplatzierung eingesetzt. Wir haben sie teilweise auch bei der Preisgestaltung eingesetzt, wo man in ersten Versuchen dynamisches Pricing in bestimmten Bereichen realisieren kann, wie im Frischebereich, vor allen Dingen beim Gemüse.
Andere Aspekte, die aus Kundensicht vielleicht noch interessant sind, sind natürlich Digitalisierungen im Markt, Suchfunktionen für Kunden oder das Erstellen elektronischer Einkaufslisten. Das ist kein spezifisches KI-Thema, aber es sind Digitalisierungsthemen, die für den Kunden sehr wichtig sind und auf die KI-Verfahren aufgebaut werden können. Für den Kunden sind Navigationssysteme im Markt ,mit denen sie sich entlang der Einkaufsliste navigieren lassen können, total praktisch. Globus plant gerade den Einsatz eines solchen flächendeckenden Navigationssystems. Das lohnt sich auch für die Händler, denn die erhalten so neue Erkenntnisse über den Kunden und seine Laufwege. Darauf aufbauend können sie dann alle möglichen Dienstleistungen mit KI-Verfahren aufsatteln. Mögliche Erweiterungen wären zum Beispiel ein Empfehlungssystem im Markt oder Rabattierungssysteme.
Woran forschen Sie denn gerade für den Handel am Institut?
Uns interessiert vor allen Dingen die Kundensicht. Wir schauen uns alle möglichen digitalen Innovationen auf der Fläche aus Sicht des Kunden an. Wir entwickeln vor allem Beratungssysteme, Empfehlungssysteme, aber auch Navigationssysteme weiter. Das digitale Haushaltsbuch spielt ebenfalls eine große Rolle. Das betrifft die Verwaltung der Kundeneinkäufe und die Bedarfsentwicklung des Kunden sowie automatische Abo-Verfahren.
Zielen die Projekte eher auf den Online- oder den stationären Handel ab?
Uns interessieren Projekte, die beide Kanäle digital verbinden. Gemeinsam mit Möbel Martin in Saarbrücken haben wir zum Beispiel einen VR-Konfigurator für Möbel entwickelt, den man nicht zu Hause verwendet, wie das heute bei virtuellen Konfiguratoren ist, sondern im Möbelmarkt selbst. Der Vorteil ist, dass Sie sich zum Beispiel auf eine Couch setzen, die VR-Brille aufsetzen und dann verschiedene Materialien der Couch sozusagen unter sich durchschalten. So können Sie dann die Raumwahrnehmung der Möbel erleben, während Sie selbst draufsitzen. Sonst erleben Sie es immer nur virtuell und haben nichts Haptisches.
Gibt es irgendetwas, was Ihnen besonders auffällt, vor allem im stationären Handel, dass man anders machen müsste?
Was ich lästig finde, ist diese massive Barriere der Kassenzone. Es wäre toll, wenn man die irgendwie loswerden könnte, sodass das Geschäft am Ende offen ist. Es gibt dafür auch Konzepte, aber sie sind noch nicht so reif, dass man sie einfach in beliebigen Lebensmittelmärkten installieren könnte.
Wenn Sie mal in die Zukunft blicken, was kommt nach der KI?
Nach der KI ist immer vor der KI, weil man Künstliche Intelligenz auch als Künftige Informatik bezeichnen kann. Wenn die KI etabliert ist, dann entschwindet sie aus der KI und neue Dinge werden zur KI. Ein Beispiel: In den 90er Jahren, als der erste Schachcomputer den aktuellen Weltmeister geschlagen hat, galt das als Meilenstein der KI. Heute würde keiner ernsthaft behaupten, dass ein Schachcomputer ein echtes, besonderes KI-System wäre. Daran erkennt man, dass es eben auch dem Wandel der Zeit unterworfen ist, was ein KI-System und was ein normales IT-System ist, das gut funktioniert. Deshalb glaube ich, dass vor der KI-Innovation nach der KI-Innovation ist.