Onlinehandel, Corona-Pandemie, Einerlei – Innenstädte haben heutzutage viele Widersacher. Aber auch, wenn der Kampf des stationären Handels schwer ist, noch ist in den Fußgängerzonen nichts verloren.
Veränderungen sollten aber nicht auf die lange Bank geschoben werden, sagen Dr. Anna Schwan von Schwan Communications und Arndt-Helge Grap von Radiopark und erklären, was getan werden sollte.
In den letzten Monaten war es in den Innenstädten sehr ruhig. Mittlerweile haben Geschäfte und Gastronomie wieder geöffnet. Wie sieht es momentan aus?
Arndt-Helge Grap: Ich sehe es in Hamburg – die Innenstädte füllen sich wieder und an Retail-Hotspots wie Zalando bilden sich lange Schlangen, aber eher dadurch, dass die Händler die Pandemie-Auflagen erfüllen und unter anderem darauf achten müssen, dass nicht zu viele Kunden im Geschäft sind. Die Stadt ist also – kurz gesagt – voll. Aber eben wegen der gerade erwähnten Maßnahmen ist auch die Atmosphäre im Einzelhandel und in Restaurants hochgradig unterkühlt, weil man überall Masken, Plexiglasscheiben und Abstandsregeln hat. Selbstverständlich ist das Alles in der jetzigen Lage notwendig und zum Schutz aller wichtig, hilft den Branchen aber natürlich nicht unbedingt.
Wie kann man dieser Atmosphäre entgegenwirken?
Grap: Musik ist gerade sehr wichtig und angesagt. Es ist zurzeit eine der wenigen Möglichkeiten, schnell und unkompliziert positive Stimmung in den Räumlichkeiten zu erzeugen. Fröhliche Klänge wie Pop, Soul oder Funk werden von unseren Kunden aus dem Retailbereich stark nachgefragt. Außerdem kann man mit der menschlichen Stimme Emotionen bei den Gästen und Kunden wecken: Gesang zieht deshalb momentan mehr als Instrumentalmusik.
Werfen wir einen Blick vor die Ladentüren. Herr Grap sagte es gerade schon: Die Fußgängerzonen füllen sich langsam wieder. Frau Dr. Schwan, was bedeutete Einkaufen bisher?
Dr. Anna Schwan: Das kommt darauf an, wie weit man zurückschauen will. Am Anfang des Jahrtausends gab es noch das klassische High-Street-Shopping: in den Einkaufsstraßen der Innenstadt oder der Stadtteilen wurde flaniert, geshoppt, Zeit verbracht. In Europa lässt sich diese Kultur sogar bis ins Mittelalter zurückverfolgen – was heute unsere Läden sind, waren damals die Märkte im Zentrum der Stadt. Daraus haben sich unsere heutigen Innenstädte entwickelt. Und das sollten wir im Auge behalten, wenn wir uns überlegen, wie die City von morgen aussehen kann. Denn Online-Shopping und Corona haben unsere Städte fundamental verändert. Wir sehen aktuell immer mehr Leerstände – und das ist nicht nur traurig, sondern auch gefährlich. Deshalb müssen wir jetzt handeln und uns fragen: Was unternehmen wir, damit die Städte erhalten bleiben, und wie sorgen wir dafür, dass unsere Innenstädte nicht verweisen und ghettoisiert werden, wie viele Downtowns in den USA?
Wie lautet Ihre Antwort?
Schwan: Ich glaube, dass einer der Trigger-Punkte die Emotionalität ist. Die müssen wir schaffen. Emotionalität wird geschaffen durch Musik, Kultur, durch echtes Leben, das in den Straßen stattfindet. Das ist das Einzige wodurch sich die Innenstädte vom Onlinehandel abheben und das muss man nutzen. Leicht verdauliche Kultur kann ein Schlüssel sein: Events, kleine Kunst-Popups, Konzerte in der Fußgängerzone, Modeschauen in Einkaufszentren – das sind alles Mittel, um die Menschen wieder in die Innenstädte zu locken. Aber dazu muss es konzertierte Aktionen geben, die strategisch angegangen werden – einfach nur irgendeine Galerie als Zwischennutzung in den Leerstand zu setzen, reicht nicht aus. Es geht auch darum, die eigenen Bürger in den neuen Innenstädten zu überraschen. Was funktioniert, muss jede Stadt für sich selbst herausfinden. Dafür sollten alle Akteure aus Handel, Hotellerie, Gastronomie Hand in Hand arbeiten, die Akteure der Stadt können als Verstärker wirken. Gemeinsam können sie eine positive und emotionale Stimmung herstellen.
Wie könnte so eine Vorstellung in Zukunft umgesetzt werden?
Grap: In der Hafencity in Hamburg wird gerade ein großes Einkaufszentrum gebaut, das Westfield Hamburg von Unibail. Hier sollen Gastronomie, Hotels, Wohnungen, Büros und Events zusammenkommen. Geplant sind große Lauf- und Eventflächen mit LED-Walls und umfangreicher Beschallungstechnik. Dort werden neue Inszenierungen möglich werden und Kunst spielt dabei eine wichtige Rolle. Vor allem aber entsteht hier eine Mischnutzung aus Arbeiten, Leben, Shoppen und Erleben – das ist neu. Das kann eigentlich nur die Zukunft sein.
Ein gutes Beispiel für gelungenes Shopping-Marketing ist meiner Meinung nach auch das Bikini Berlin. Alle Läden dort sind besonders. Es gibt viele Pop-up Stores auf der Fläche, die oft nur vier Wochen bleiben und dann kommt etwas Neues. In den tollen Cafés sitzen die Leute gerne und lange, auch die große Glasfront mit direktem Blick auf den Berliner Zoo macht die Mall attraktiv. Darum geht es doch: den Kunden etwas Überraschendes zu bieten.
Schwan: Die Popup-Stores dort sind übrigens Marktständen nachempfunden. Im Grunde ist das eine Marktvariante des 21. Jahrhunderts. Die Kunden kommen, weil Menschen sich am wohlsten fühlen, wenn sie gewohnte Umgebungen auf neue und innovativ gestaltete Weise erleben können. Man könnte also sagen: Im Bikini wird die mittelalterliche Marktatmosphäre für die Zukunft neu erfunden.
Was wünschen Sie sich persönlich, wenn Sie an Shopping in der Innenstadt denken?
Schwan: Ich bin ein großer Fan von Concept Stores, insbesondere, wenn ein kleines Café dazugehört. Das ist eine super Idee: Schönes Design, ausgewählte Stücke von Mode über Interior bis hin zu Büchern und dazu leckerer Kaffee und Kuchen. Ich kann mich gemütlich hinsetzen, anderen beim Shoppen zuschauen und sehe gleichzeitig Produkte, die mir gefallen. Falls etwas nicht verfügbar ist, kann ich es im Laden digital bestellen und es wird mir am selben Tag nachhause geliefert.
Grap: In jeder Mall oder Einkaufspassage finde ich wegen der absurd hohen Mieten die gleichen Ketten, weil nur die sich das leisten können. So wird Shoppen langweilig. Da muss man sich nicht wundern, wenn Innenstädte leerbleiben, da alle das gleiche Setup und die gleichen Waren verkaufen. Bei mir und vielen anderen Kunden kann Einzelhandel punkten, wenn er einzigartig ist. Individuelle und qualitativ gute Beratung macht eine gute Customer Experience aus. Die bekommt man im Onlinehandel nämlich nicht.