Lange war der Online-Lebensmitteleinzelhandel das Sorgenkind des deutschen E-Commerce. In einigen anderen Ländern waren die Bestellquoten von Lebensmitteln stetig höher als in Deutschland. Verschiedene Initiativen stationärer deutscher Lebensmittelhändler, in den Onlinehandel einzusteigen, sind stagniert oder sogar gescheitert. Gibt die Corona-Pandemie jetzt den Kick, den es für das erfolgreiche Anlaufen dieses Handelszweigs braucht?
Viele Kunden, die sich davor sorgen, sich beim Einkaufen im stationären Geschäft anzustecken, empfinden die Lieferung von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs vor die Haustür als Erleichterung. Daher steigen die Bestellungen bei Lebensmittelhändlern mit Onlineangebot und Lieferdiensten tatsächlich an. „Die Unsicherheiten bezüglich des neuartigen Coronavirus brechen das gewohnheitsmäßige Einkaufsverhalten in großem Maße auf und setzen den Onlinelebensmittelhandel für viele Konsument*innen in attraktiveres, neues Licht“, erklärt Dr. Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung am IFH Köln, in einer Pressemeldung vom 10. März.
Mehr Bestellungen und größere Warenkörbe
Das merken auch Händler, Online-Supermärkte und Lieferdienste. Christina Schütz, Pressesprecherin der REWE Group, berichtet auf Anfrage: „Beim REWE Lieferservice verzeichnen wir – analog zum stationären Handel – eine deutlich erhöhte Nachfrage nach lang haltbaren Lebensmitteln, Nährmitteln, Konserven und Drogerieartikeln.“ Auch das statistische Bundesamt stellte fest, dass gewisse Produkte wie Toilettenpapier und Seife jetzt gefragter sind als sonst.
Ähnlich melden das auch die Online-Supermärkte auf ihren Homepages, beispielsweise Picnic: „An einigen Tagen möchten so viele Kunden eine Bestellung aufgeben, dass wir leider einfach nicht genügend Mitarbeiter haben, um all diese Anfragen bewältigen zu können. Deshalb kann es sein, dass unsere Liefertermine leider früher ausgebucht sind als gewohnt.“ Laut eines Berichts von Golem ist auch Amazons Lebensmittel-Lieferservice Amazon Fresh für einen Monat komplett ausgebucht.
In einer Pressemeldung vom 29. Februar gibt Food.de einen durchschnittlichen Anstieg des Warenkorbs um ein Drittel an, besonders haltbare Lebensmittel seien stark nachgefragt. Im Unternehmensblog vermeldet Food.de Mitte März „600 Prozent mehr Neukunden, ausverkaufte Produkte und bisher kein Abschwellen der Orders. Standorte mit traditionell kleinen Warenkörben heben über Nacht an auf den deutschen Durchschnitt von über 80 Euro und überflügeln mit links die eher starken Regionen.“
Auch Thorsten Eder, CMO von getnow, teilt uns mit: „Wir sind praktisch immer ausgebucht und auch, wenn wir die Kapazitäten erhöhen, schnell wieder am Limit.“ Bei praktisch allen Anbietern kommt es zu Verzögerungen, Lieferfenster werden rarer. Laut Angaben des mdr mussten einige Lieferservices ihre Onlineshops zwischenzeitlich sogar schließen, um sich auf die neuen Bedingungen einzustellen, so zum Beispiel die Getränkelieferanten Durstexpress und Flaschenpost.
Einschränkungen und Maßnahmen – Reaktionen der Anbieter
Die Lieferdienste und Onlinehändler müssen auf diese veränderten Bedingungen natürlich reagieren. Strenge Hygienevorschriften würden eingehalten, so der Tenor, und Lieferungen finden nur noch bis vor die Haustüre statt. Bei getnow müssen keine Lieferscheine mehr unterschrieben werden. Nach Angaben von REWE werden „die MDE-Geräte, die zur Bestätigung der Lieferung genutzt werden, [...] nach jedem Gebrauch desinfiziert.“
Aus hygienischen Gründen findet oftmals keine Pfand- und Versandmaterialrücknahme statt. Aufgrund der hohen Nachfrage nach gewissen FMCG-Produkten werden teilweise auch die bestellbaren Stückzahlen begrenzt.
Jetzt kurzfristig auf diese gestiegene Nachfrage zu reagieren, ist sicherlich eine große Herausforderung für die Anbieter. „Wir optimieren Abläufe und versuchen neues Personal einzustellen“, erklärt Thorsten Eder von getnow dazu. Lagerarbeiter und Fahrer werden gerade händeringend gesucht.
Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. ermuntert in einer Pressemitteilung die Bundesregierung zu konkreten Maßnahmen, die es dem Handel erleichtern sollen, den momentanen Bedürfnissen gerecht zu werden. Neben Arbeitszeitregelungen und Schritten zur Unterstützung des Gütertransports fordert bevh-Hauptgeschäftsführer Christoph Wenk-Fischer für die Versorgung der Bevölkerung eine starke Zusammenarbeit aller Beteiligten: „Die Lieferung nach Hause und Abholung von Waren mit Click&Collect unter Wahrung der notwendigen hygienischen Anforderungen bilden eine stabile Versorgungs-Infrastruktur. Stationärer Handel und E-Commerce können hier als Partner sichere Nahversorgung realisieren. Das ist gelebter Omnichannel-Handel“.
Online-LEH: Ist der Knoten geplatzt?
Viele Marktteilnehmer erwarten, dass diese gestiegenen Nutzungszahlen für den Online-Lebensmitteleinzelhandel auch nach der Corona-Pandemie anhalten. Wenn sich die Kunden erstmal an das Prozedere gewöhnt und die Vorteile genossen haben, würde sich das Online-Einkaufsverhalten stabilisieren, so die Annahme. Das bleibt abzuwarten. Möglicherweise wissen die Konsumenten nach der Isolation durch das Coronavirus auch den menschlichen Kontakt an der Theke oder Kasse im Supermarkt wieder neu zu schätzen, wie das Beispiel der „Plauderkasse“ im niederländischen Vlijmen zeigt.
Zweifellos werden einige Marktteilnehmer zum Umdenken und Überprüfen ihrer Angebote und Arbeitsweisen gezwungen. Andere erhalten jetzt vielleicht ihre Chance, neue Konzepte und Ansätze zu etablieren – ob analog, digital oder omnichannel. Der Kreativität sind jedenfalls (fast) keine Grenzen gesetzt.
Wie sichtbar sind die großen stationären Lebensmittelketten eigentlich in Suchmaschinen wie Google? Und was macht die Nummer 1 richtig? Rankingdocs hat das in einem Beitrag analysiert: SEO Top 5: Supermarktketten im Sichtbarkeits-Check.