Herr Wucher, wie hat sich die Customer Journey in den letzten Jahren verändert?
Die Veränderung der Customer Journey begann mit dem Eintritt ins Zeitalter des Internet of Commerce, welches nun schon ein paar Jahre zurückliegt. Mit dem Entstehen von immer mehr Online Shops hatten die Konsumenten eine über den klassischen Versandhandel hinausgehende Alternative zum stationären Handel und zudem auch die Möglichkeit, sich vor dem Kauf im Web eingehend über die unterschiedlichen Marken, Produkte und Services zu informieren.
Die zentrale Veränderung der Customer Journey, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten, ist durch Mobile bedingt: Smartphones sind heute für Konsumenten das wichtigste Vehikel, um online zu gehen. Aus unserem Crossmedia Link Panel wissen wir, dass zwei Drittel der Online-Nutzungszeit auf Smartphones entfällt und 87 Prozent davon auf Apps. Dementsprechend hat sich auch die Art und Weise, wie E-Commerce Anbieter ihre Reichweite aufbauen, verändert. Auch wenn die Desktop-Angebote immer noch die größere Reichweite erzielen, so liegen Desktop- und Mobile-Reichweite bei vielen großen Anbietern wie zum Beispiel Amazon, Ebay, Ikea, MediaMarkt oder Zalando schon auf ähnlichem Niveau – und das hat natürlich auch Einfluss auf die Customer Journey.
Wie unterscheidet sich die Customer Journey in den verschiedenen Produktkategorien?
E-Commerce hat heute einen hohen Reifegrad und dennoch unterscheidet sich der Entwicklungsstand zwischen den unterschiedlichen Produktkategorien sehr deutlich. Wie wir aus unseren Konsumenten- und Handelspanels wissen, fließt im Bereich Reisen beinahe jeder zweite Euro, den die Deutschen ausgeben, in den Online-Kanal. Am anderen Ende des Spektrums stehen die schnelllebigen Konsumgüter, bei denen der wertmäßige E-Commerce Anteil bei gerade mal einem Prozent liegt. Das klingt nach sehr wenig, dahinter steht aber mit über einer Milliarde Euro Umsatz schon in 2014 ein signifikantes Volumen. Hinzu kommt, dass wir für FMCG ein starkes Wachstum in den nächsten Jahren erwarten, alleine in 2015 gehen wir von 33 Prozent aus.
Alle anderen Produktkategorien liegen zwischen den beiden Extremen Reisen und schnelllebige Konsumgüter. Aber der Kauf ist ohnehin nur das Ende der Customer Journey, die in der Regel mit einem auslösenden Moment beginnt und sich dann mit dem Einholen von Informationen fortsetzt. Auch hier sehen wir große Unterschiede zwischen den Produktkategorien. Wenig überraschend ist, dass die Nutzung digitaler Touchpoints mit der Bedeutung von Online-Käufen zunimmt, das heißt je mehr in einer Kategorie online gekauft wird, desto intensiver werden Online-Touchpoints auch im Vorfeld des Kaufes genutzt.
Interessant ist, dass für einzelne FMCG-Warengruppen, wie zum Beispiel Babynahrung und Schokolade, trotz der vergleichsweise geringen Bedeutung von E-Commerce digitale Touchpoints schon jetzt eine relevante Rolle bei der Customer Journey spielen. Das ist beispielsweise bei Babynahrung intuitiv nachvollziehbar, wenn man an die Recherche von Inhaltsstoffen denkt. Bei Schokolade ist der Gedanke an eine Online-Recherche im Vorfeld des Kaufs jedoch eher kontraintuitiv. Aber es geht hier in der Regel auch nicht um Recherche. Online-Touchpoints werden hier vielmehr genutzt, nachdem ein entsprechender Impuls gesetzt wurde, wie zum Beispiel ein TV-Spot mit Hinweis auf die Markenwebsite, die dann anschließend besucht wird.Dies macht deutlich, dass sich Customer Journeys in Abhängigkeit der Motivation unterscheiden – und die ist wiederum sehr kategoriespezifisch: Wenn Recherche und Vergleich im Mittelpunkt stehen, dann ist die Customer Journey tendenziell eher breit, lang und komplex. Die Buchung einer Pauschalreise ist ein schönes Beispiel dafür: Konsumenten besuchen vor dem Kauf – egal ob online oder offline – im Durchschnitt 11,1 unterschiedliche Websites und lassen sich für ihre Kaufentscheidung 35,6 Tage Zeit. Anders ist es bei eher impulsmotivierten Kategorien wie Babynahrung. Hier ist die Kaufentscheidung nach nur 2,4 Tagen und dem Besuch von 1,8 unterschiedlichen Websites getroffen.
Welche Touchpoints sind heute am Wichtigsten?Mit Blick auf den Online-Teil der Customer Journey ist auch das mit einer Ausnahme in hohem Maße kategoriespezifisch. Die Ausnahme sind Händler-Websites, welche über alle Kategorien hinweg einen wichtigen Touchpoint darstellen. Die Relevanz weiterer Online-Touchpoints hängt vom Kaufanlass ab. Bei markenabhängigen Kategorien wie Colorationen und Schokolade sind Hersteller-Websites sehr wichtige Ankerpunkte.
Folglich ist eine eigene Online Marken-Präsenz in diesen Kategorien wichtiger denn je - auch für Offline-Käufe. Und das nicht nur als Teil der Markenkommunikationsstrategie, sondern mit unmittelbarer Wirkung auf den Umsatz: Wir haben herausgefunden, dass, wenn der Konsument vor der Kaufentscheidung die Markenwebsite besucht hat, die Kaufanteile für die Marke im Schnitt um 44 Prozent steigen. Damit stellt sich also die Frage, wie über SEM und SEO hinaus Traffic für die Markenwebsite generiert werden kann. Hier bieten Offline-Touchpoints gute Möglichkeiten. Gerade FMCG Websites können durch TV-Werbung Traffic steigern, die Top 20 Prozent der von uns analysierten TV-Spots erhöhten die Besucherfrequenz auf der Markenwebsite um 16 Prozent und mehr.
Auch Kundenservice wird heute auf allen Kanälen nachgefragt. Welche Serviceangebote müssen Händler an welchen Touchpoints bieten?
Konsumenten fordern heute vor allem eine „seamless Customer Journey“, also eine übergangslose Verknüpfung von On- und Offline-Welt. Dies stellt den Handel vor disruptive Herausforderungen, bietet aber auch die Chance, sich über entsprechende Serviceangebote vom Wettbewerb zu differenzieren. Das Spektrum an Möglichkeiten ist dabei sehr breit. Es beginnt bei ganz einfachen Services, wie zum Beispiel die Online-Bestellung vor Ort im Laden abzuholen. Weitere mögliche Ansatzpunkte bietet die Digitalisierung des physischen POS, beginnend mit Mobile Payment, über interaktive Shopping-Möglichkeiten auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten (zum Beispiel durch QR Codes an der Ladenfront oder im Schaufenster), unterhaltende und praktische Formate wie digitalen oder Social Mirrors bis hin zum Einsatz von Beacon-Technologie zur Auslieferung von personalisierten Angeboten und Preisen an registrierte Kunden beim Betreten des Ladens.
Interview: Daniel Stöter, iXtenso.com