Neue Ideen umsetzen: Design Thinking im Einzelhandel
Die Wünsche des Kunden in den Vordergrund rücken
PantherMedia/ArturVerkhovetskiy
Auch wenn‘s manchmal weh tut – die Perspektive zu wechseln hilft Unternehmen dabei, neue Ideen umzusetzen und vor allem laufende Prozesse zu einem erfolgreichen Ergebnis zu bringen. Dabei kann die nutzerorientierte Methode Design Thinking helfen.
„Was wollen meine Kunden eigentlich?“ Das ist womöglich die wichtigste Frage, die sich jeder Einzelhändler stellen muss, ob Großunternehmen oder der kleine Store nebenan. Dicht gefolgt von: „Wie kann ich das überhaupt umsetzen?“ Methoden, um Prozesse neu zu gestalten, gibt es viele. Eine schon gut etablierte ist das Design Thinking, das in den 80ern in den USA entstand.
Was ist Design Thinking?
Wenn Unternehmen traditionell ein Produkt entwickeln, überlegen sie: Was ist das Resultat? Dann überlegen sie, was sie tun müssen, um das zu erreichen. Dann werden die Zeiträume und Verantwortlichkeiten festgelegt. Wer macht was wann?
„Das Design Thinking dagegen nimmt den Prozess in den Mittelpunkt. Da gibt es so genannte Circles, wo Sie immer wieder probieren, Learnings wieder zurückgeben, noch einmal probieren und so weiter. So robben Sie sich dann nach vorne“, beschreibt Professor Dr. René Sadowski, Entrepreneurship & Innovation Management an der EBC Hochschule in Berlin. Das hört sich kompliziert an, ist aber schnell erklärt beispielsweise anhand der Entwicklung des Heizsystemherstellers Viessmann.
Viessmann: „Gewinn eine neue Perspektive, indem du deine Denkweise änderst.“
Das Familienunternehmen Viessmann entschloss sich, Kräfte aus unterschiedlichen Abteilungen wie Logistik und Marketing zusammen in ein Team zu bringen, um die Angebote des Unternehmens noch attraktiver zu machen, einen Schritt voraus zu sein. Heute gibt es eine ganze Abteilung in Berlin, die Workshops für Viessmann-Angestellte anbietet, die mit Design Thinking arbeiten.
Einer der Trainer dort ist Mito Mihelic, der schon weltweit in Sachen Design Thinking für Unternehmen und an Universitäten unterwegs war. Bei Viessmann stellt er zusammen mit Mitarbeitern und Nutzern des Unternehmens so manche Fragestellung auf den Kopf. Dreh- und Angelpunkt ist dabei, Menschen – somit Kunden – und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Seine Herangehensweise als Design Thinking-Lehrer stößt allerdings nicht immer auf Begeisterung. Umdenken und Neuanfangen tun manchmal weh, denn dabei können Erkenntnisse auftreten, an die vorher niemand gedacht hatte. Dann muss wieder neu gedacht werden.
Mihelic berichtet: „Wir befragten Kunden auf der Straße zu unseren Viessmann-Boilern. Eine ältere Dame sagte uns, dass sie ihren Boiler, ‚der vorne einen kleinen Fernseher hat‘, wie sie es ausdrückte, nicht allein bedienen könne. Den modernen Boiler mit Display habe ihr Mann unbedingt haben wollen und sich darum gekümmert, bis er verstorben sei. Sie müsse hierfür nun immer ihren Sohn anrufen, der 45 Minuten weit entfernt lebe und dafür zu ihr kommen müsse. Unsere Entwickler, die absolut davon überzeugt waren, dass sie ein tolles Produkt auf den Markt gebracht haben, waren von dieser Aussage natürlich nicht so erfreut.“
Die Schlussfolgerung daraus war unter anderem, dass jemand telefonisch bei Viessmann erreichbar sein muss, um ihr zu helfen, beziehungsweise ein Mitarbeiter verfügbar sein, um zu ihr fahren.
Der Design Thinking-Trainer erinnert sich noch an ein weiteres Aha-Erlebnis: „Uns bewegte die Frage: Wie viel Geld würden unsere Kunden – in dem Fall Installateure – jährlich dafür bezahlen, eine App von uns zu nutzen, mit der sie ihre Anfragen und Termine organisieren können. Das Ergebnis erstaunte die Entwickler: Es bestand gar kein Bedarf für eine App. Vor drei Jahren, als wir die Umfrage machten, war ein Smartphone noch nicht so selbstverständlich wie heute. Die Installateure regelten die Terminanfragen telefonisch und konnten sich nicht über mangelnde Nachfrage beschweren. Die Frage veränderte sich also in: Wie bringen wir unseren Kunden nahe, das Smartphone zu nutzen, um somit den Mehrwert einer App zu zeigen?“
Teamübergreifend denken
Design Thinking ist nicht nur eine Art der Herangehensweise an die Wünsche der Kunden, die dann in die Prozesse eingearbeitet werden. Sie spiegelt vor allem auch die Zusammenarbeit von Personen aus verschiedenen Verantwortlichkeitsbereichen wider, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen gemeinsam einbringen.
Die niederländische Bank ING Bank (in Deutschland ING Diba) arbeitet nicht mehr in den funktionellen Strukturen, wie wir sie kennen, sondern die ganze Organisation ist eine Customer Journey. „Die Bank erörtert, was eigentlich die Erwartungshaltung ihrer Klienten ist, die beispielsweise ein Bankkonto eröffnen wollen: Wie schnell muss es gehen, welche Formulare müssen sie ausfüllen und Ähnliches. Sie prüft, welche Produkte sie anbietet und danach wird die Organisationsstruktur des Unternehmens gebaut. Die Firma arbeitet damit hoch erfolgreich und kann sich vor Bewerbungen kaum retten“, beschreibt Professor Sadowski. Er ergänzt: „In den verschiedenen Journeys arbeiten Personen aus verschiedenen Hierarchien zusammen. Für darauffolgende Projekte wird wieder neu gemixt.“
Die Transformation zu diesem Modell hat über zwei Jahre gedauert. Alles Gute braucht seine Zeit. Die Implementierung einer ganz neuen Herangehensweise an Prozessabläufe erst recht.
Auf die richtige Führung kommt es an
Manchmal werden auch nur gewisse Projekte mit diesem Modell umgesetzt. Wichtig sei vor allem, dass gerade Führungskräfte die Methode implementieren wollen und die neuen Strukturen konsequent umsetzen, so Sadowski weiterhin. Dabei gilt es in jedem Schritt, die Wünsche des Kunden immer in den Vordergrund zu rücken.
Der Experte betont, dass diese Herangehensweise auch für kleine Unternehmen umsetzbar und ergänzt: „Ich arbeite viel mit Start-ups in Berlin. Sie nutzen häufig schon viele Elemente des Design Thinkings, ohne es überhaupt konkret wahrzunehmen.“
Das einfache Beispiel eines stationären Einzelhändlers zeigt den Mehrwert der Methode: Dieser wollte wissen, wie sich Kunden im Store bewegen. Das Unternehmen SAP schickte deshalb einen Design Thinking-Bus mit seinen Experten zum Einzelhändler und legte dort gemeinsam mit den Mitarbeitern gewünschte Ziele fest und mit welchen Mitteln sie dorthin kommen könnten. Sie stellten schon nach einer Woche mithilfe von Heatmapping-Kameras und der Auswertung der gesammelten Daten über eine Software in der Cloud eine Auswertung auf die Beine, deren Ergebnisse direkt zur Umgestaltung der Regale und somit der Laufwege führte – mit Erfolg.
Design Thinking geht also auch mal ganz schnell. Gut, um im Wettbewerb zu bleiben.
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