Smarte Lösungen statt Channel-Denke
Ein Gastkommentar von Johannes Schick
Immer wieder ist es zu beobachten, dass findige Start-Ups innerhalb weniger Jahre die Spielregeln einer ganzen Branche auf den Kopf stellen. Ohne Rücksicht auf tradierte Channelstrategien bieten solche Player Produkte und Dienstleistungen dort an, wo der Kunde ist. Angesichts der Bedrohung durch Amazon & Co. gilt es für den Handel sich dieser Sichtweise zu öffnen: Denn der Kunde nutzt eine Lösung, die möglichst nah an seiner Lebensrealität ist. Wo er kauft, bei wem er kauft, wie und wann er kauft – all das ist ihm erst einmal egal. Zeit also, das Kanaldenken hinter sich zu lassen.
Der Handel gilt vielen Gesamtmarkt-Beobachtern als Testfeld in Sachen Digitalisierung. Das liegt vor allen Dingen an einem Player: Amazon. In den vergangenen 15 Jahren ließen sich wahre Handelsschlachten zwischen großen etablierten stationären Händlern auf der einen und Jeff Bezos Mannen auf der anderen Seite beobachten. Dass Amazon ursprünglich Relentless (englisch für gnadenlos) heißen sollte, mag als Zusammenfassung dieser Auseinandersetzung dienen. Doch im Getöse von On- und Offline gibt es eine Entwicklung, auf die noch keine der Parteien eine adäquate Antwort gefunden hat: das Auftauchen der hybriden Kunden. Diese smarten Käufer, deren Zahl ständig zunimmt, bevorzugen keinen Channel. Sie sind Konsum-Nomaden, die dort kaufen, wo sie das beste Angebot erhalten. Das Beste, nicht unbedingt das Billigste wohlgemerkt. Nicht Geiz ist für die Hybriden geil. Ihr Credo lautet vielmehr „Buy anywhere“.
Doch wie soll der Handel mit solchen Kunden umgehen, die einfach, schnell und bequem dort kaufen möchten, wo sie gerade sind? Egal ob zu Hause, unterwegs oder in der Filiale beziehungsweise dem Geschäft vor Ort? Multichannel wird hier für Händler fast schon zur Pflicht und ist ja schon bei vielen (zum Teil schmerzhaft) gelernte Praxis. Doch auch das Denken in Verkaufskanälen führt bei hybriden Kunden oft nicht zum gewünschten Erfolg. „Vergiss die Gretchenfrage ‚Laden oder Online‘“ möchte man dem Handel zurufen. Nicht Lage, Lage, Lage heißen die Erfolgskriterien. Buy anywhere heißt konsequent gelebt, da zu verkaufen, wo die Kunden sind. Das kann ein Pop Up Store an der Fußgängerzone sein. Oder ein Promotion-Team, das auf einer Demonstration Getränke anbietet. Oder im Weihnachtsgeschäft und der Schnupfensaison Taschentücher verkauft. Oder, oder, oder. Das Credo sollte sein: Denk vom Kunden her.
Dabei muss die Lösung nicht teuer oder aufwendig sein. So erleben die Kunden beispielsweise beim Online-Kauf wie einfach und schnell der Bezahlvorgang dort abläuft. Da erscheinen im Vergleich auch kurze Wartezeiten an der Kasse eines stationären Geschäfts wie eine Ewigkeit. Deshalb folgt schon der nächste Schritt, das Mobile Payment – das Zahlen im Vorbeigehen. Und auch hier schauen wieder viele auf Jeff Bezos‘ Vision, „Amazon Go“ mit ihren lokalen Geschäften ohne Registrier- oder SB-Kassen. Aber warum eigentlich? Bei „Amazon Go“ wird jede Bewegung des Kunden registriert. Das erfordert vor allen Dingen einen unglaublichen Technikaufwand. Das kann am Ende des Tages das Gegenteil von „smart“ sein. Vielmehr überzeugen gut durchdachte Ideen und sicher beherrschte Prozesse die Kunden.
Sicher beherrschte Prozesse? Gute Ideen? Daran sollte es doch im Handel kein Mangel geben? Tatsächlich aber wird hierzulande gerätselt, ob die Kunden schon bereit für das kassenlose Geschäft sind (Spoiler-Warnung: Ja, sind sie). Kunden sind auch hier progressiver als viele meinen. Die Analysten von Oliver Wyman haben sich die deutschen Endkunden und deren bevorzugte Bezahlart im Frühjahr 2018 angeschaut. Zwar stellten sie fest, dass Mobile Payment nach Umsatz (noch) keine Rolle spielt. Aber: Immerhin 7 Prozent der Befragten gaben an, bereits mit ihrem Smartphone am Point of Sale bezahlt zu haben. Und rund 33 Prozent der Kunden gaben bei der Befragung an, sie könnten sich vorstellen, Mobile Payment per Smartphone zukünftig zu nutzen.
In den Analyse-Ergebnissen von Oliver Wyman schlummert für den Handel ein erstaunlicher Hebel. Hier kann er mit smarten Services bei seinen hybriden Kunden (und Neukunden) punkten. Und anders als bei NFC- oder Self-Check-Out-Kassen, sind Bezahlapps mit geringem Aufwand zu etablieren und ermöglichen gänzlich neue Verkaufsszenarien. Die richtige Idee entscheidet über den Erfolg – nicht der Invest. Denn da die Apps auf dem Smartphone des Kunden installiert sind, braucht es keine Anschaffung neuer, teurer Hardware. Wichtig für den Handel ist es auch, die eigenen Prozesse dahingehend zu überprüfen, ob sie sauber vom Endkunden her gedacht sind. Und um eine ideale Installation der gewünschten Lösung in das eigene Backend zu gewährleisten, sollte bei der Wahl eines entsprechenden IT-Partners dessen Handelsexpertise den Ausschlag geben.
Fazit: Der hybride Kunde ist keinem Channel verpflichtet. Er kauft, wo er ist – zu Hause, unterwegs oder im Geschäft. Die Herausforderung des Handels ist es, diesem buy anywhere mit den richtigen Angeboten zu begegnen. Channel-Denke bringt ihn hier jedoch nicht weiter. Aber wenn der Handel wie ein Start-Up an die Herausforderungen herantritt, kann er auf seine Tugenden vertrauen: Nah am Kunden zu sein und seine Prozesse sicher zu beherrschen. Die Mahnung dabei hat Jeff Bezos übrigens selber im vergangenen Jahr in einen Brief an die Amazon-Aktionäre ausgesprochen: „Gute Prozesse dienen dir, damit du dem Kunden dienen kannst. Aber wenn du nicht aufpasst, kann der Prozess das Ding werden, um das sich alles dreht: Du hörst auf, aufs Ergebnis zu schauen, und achtest nur noch darauf, dass der Prozess richtig läuft.“
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