Digitalisierung, E-Commerce, steigende Kundenansprüche – all diese Faktoren wirken sich nicht nur auf die Händler, sondern auch auf die Organisation der Lagerhäuser aus.
Im Interview spricht Johannes Tress, Mitgründer und Managing Director bei everstox über die Entwicklung bis heute, die Bedeutung neuer Technologien und Schwachstellen, die es trotz digitaler Transformation noch gibt.
Herr Tress, wenn Sie sich Lager vor 20 Jahren und heute anschauen – Was hat sich verändert?
Früher waren sowohl das operative Geschäft als auch die Kommissionierungsprozesse mehrheitlich von der Groß- und Einzelhandel-Logistik geprägt, sprich Palettenversand und Verpackungen mit Großkartonagen. Dadurch, dass E-Commerce und spezielle Direct-to-Consumer(D2C)-Kanäle immer beliebter werden, sieht es heute in Lagerhäusern anders aus: Dort lagern inzwischen viele einzelne Artikel, die in kleinere Pakete verpackt direkt an den Verbraucher geliefert werden.
In der Lagerhaltung wird es digitaler. Es geht weg von analogen Strich- und Inventarlisten und hin zu einem komplett digitalisierten Bestandsmanagement – mit einer Echtzeit-Abbildung des Materialflusses und unter Einsatz von Algorithmen, die auf Basis historischer Daten etwa Prognosen zu den verbleibenden Laufzeiten von Restbeständen kalkulieren. Dieses hohe Niveau an Datentransparenz und smarten Features war noch vor zehn Jahren nicht denkbar.
Abgesehen vom Einsatz digitaler Logistiklösungen, lässt sich auch ein Wandel in Bezug auf die Produktlagerung beobachten. Das heißt, die Lagerung gestaltet sich zunehmend dynamisch und erhöht damit die Effizienz der Pick- und Packlaufwege sowie der Bestandslagerdichte. So sorgen beispielsweise sogenannte „Heatmaps“ in Zwischenlagern und Kommissionierungsstationen für eine Optimierung von Laufwegen in Bezug auf die Produktlagerorte. Vollautomatisierte Hochregallagersysteme mit Bedienanlagen wiederum gewährleisten, dass die Bestandslagerdichte pro genutztem Kubikmeter im Lagerhaus steigt.
Welche Rolle spielen moderne Technologien in der Lagerlogistik? Und welchen Stellenwert hat der Mensch heute und in Zukunft dabei?
Moderne Lagerlogistik-Technologie sollte immer darauf ausgerichtet sein, Arbeitsvorgänge für die Anwender zu erleichtern, nicht aber den Menschen komplett zu ersetzen. Eine datengetriebene Softwarelösung unterstützt hier beispielsweise mit einem automatisierten Datenaustausch zwischen den Händler- und Logistiker-Systemen, mit der Messung und Aufzeichnung von operativen KPIs sowie mit einem pro-aktiven Reporting zur Vermeidung von Lieferengpässen und verspäteten Kundenbestellungen. Die Technologie sollte Enabler für fundierte Entscheidungen sein und gleichzeitig monotone, automatisierbare Tätigkeiten übernehmen. Jedoch kann keine noch so perfekte Software oder künstliche Intelligenz die Erfahrung, Kompetenzen und vor allem das Fingerspitzengefühl eines geschulten Logistikers ersetzen.
Was gehört Ihrer Meinung nach zu einem optimalen Lagermanagement alles dazu?
Das optimale Lagermanagement umfasst sowohl eine produktorientierte Hardware, also eine Lagerplatzlösung, als auch eine kundenspezifisch angepasste Softwarelösung, welche die Lagerhaltung unterstützt und kompatibel mit bestehenden Systemen ist. Für die Optimierung des operativen Geschäfts sind beide Punkte zentral wichtig. Denn auch eine perfekte Lagerhaltung mit automatisierten Hochregallager nutzt wenig, wenn die IT-Infrastruktur nicht mithalten kann. Was die Hardware betrifft, so ist diese im Idealfall zusätzlich an die jeweiligen Produkte angepasst – zum Beispiel lagern sperrige Sportartikel am besten in einem Lagersystem mit Kranarmregalen.
In Bezug auf die Software eignen sich insbesondere datengetriebene Plattformlösungen wie everstox. Mit ihnen lassen sich Datensätze aus den Lagerverwaltungssystemen (WMS – Warehouse Management System) digitalisieren, der Datenaustausch zwischen den Händler- und WMS-Systemen automatisieren und vor allem Service Level Agreements (SLAs) messen und einhalten.
Welche Fragen sollte man sich stellen und worauf sollte man achten, wenn man sein Lager modernisieren möchte?
Es kommt immer darauf an, welche Ziele konkret erreicht werden sollen oder wo es im aktuellen Lagerhaus-Setup Problemstellen gibt. Wird etwa eine Effizienzsteigerung angestrebt? So kann es sinnvoll sein, ein manuelles Staplerlager zu einem vollautomatisierte Systemlager umzubauen oder logistischer Anlagen so zu reorganisieren, dass eine Durchsatzerhöhung im Kommissionierungsbereich erreicht wird. Solche Maßnahmen sind allerdings meist kapitalintensiv. Doch Effizienz steigt nicht nur mit der richtigen Hardware, sondern auch mit dem Einsatz entsprechender Softwarelösungen. So ermöglichen allein schon transparente Abläufe eine pro-aktive Fehlerdiagnose und lösen mögliche Probleme bei der Auftragsbearbeitung von Kundenbestellungen. Datengetriebene Plattformlösungen unterstützen Logistiker, Groß- und Einzelhändler dabei, Logistikprozesse zu optimieren, und einen automatisierten Datenaustausch zwischen den verschiedenen Verkaufsplattformen- und WMS-Systemen zu ermöglichen.
Wo sehen Sie Mankos der Branche?
Aufgrund steigender Ansprüche der Konsumenten in puncto Lieferschnelligkeit und niedrigen Versandkosten suchen Händler zunehmend nach möglichst kostengünstigsten Lösungen für Pick- und Packprozesse sowie für Lagerhaltung und Versand. Und tatsächlich finden sich von Logistiker zu Logistiker Preisunterschiede von bis zu 50 Prozent. Doch für eine effiziente Lösung gilt es nicht nur den günstigsten Logistiker zu finden, sondern denjenigen, der den passenden Produktfokus und die geeignete Servicequalität aufweisen kann. Dazu kommt, dass Preise von Kommissionierungs- und Fulfillment-Prozessen im Regelfall nicht alle tatsächlichen Kosten widerspiegeln. Für Logistiker als auch für Händler fallen oft zusätzlich nötige manuelle Arbeitsschritte, prozessbedingte Tätigkeiten oder IT-Kosten im Tagesgeschäft an, um operative Transparenz zu gewinnen. Daher ist es wichtig, dass Händler auf Logistiker zurückzugreifen, die nicht nur das günstigste Angebot anbieten, sondern die geeigneten Lösungen in puncto Logistik, WMS und Automatisierung mitbringen.