Der kassenlose Einkauf gilt vielen Menschen als Einkauf der Zukunft. Im europäischen Vergleich befindet sich Deutschland aber noch ein Stück weit von dieser Zukunft entfernt. Während einige Händler*innen die hohen Investitionskosten scheuen, fürchten Verbraucher*innen um die Sicherheit ihrer persönlichen Daten. Wie berechtigt sind diese Bedenken, und welche Chancen bietet der kassenlose Einkauf trotzdem?
Dazu haben wir mit Ines Bahr, Senior Content Analyst bei Capterra gesprochen.
In der Studie von Capterra werden die drei größten Bedenken - technische Schwierigkeiten mit dem Smartphone, technische Schwierigkeiten mit der App, Hacken von Daten - beim kassenlosen Einkauf aufgelistet. Wie gerechtfertigt oder ungerechtfertigt sind diese Bedenken?
Wenn Technik im Spiel ist, kann es natürlich auch immer zu Schwierigkeiten kommen. Diese Schwierigkeiten fangen bei ganz simplen Dingen wie einem leeren Akku an. Besonders bei älteren Generationen, die ihren Umgang mit dem Smartphone auf ein Minimum beschränken, können auch Probleme mit dem Umgang der App hinzukommen. Generell sind die Apps jedoch so konzipiert, dass sie nutzerfreundlich sind.
Die Angst vor Hackerangriffen auf persönliche Daten wie Kreditkarten-Daten und Zahlungsinformationen ist eher gerechtfertigt. Mit zunehmender Digitalisierung nimmt auch die Datennutzung und die Anzahl an Daten, die geteilt werden, zu. Dies bietet im Folgeschluss auch mehr Angriffsfläche. Verbraucher*innen müssen jedoch nicht mehr um ihre Daten beim kassenlosen Einkaufen fürchten, als beim Nutzen anderer Online-Shops. Entscheidend sind hier einfach Maßnahmen wie das Nutzen eines starken Passworts, das regelmäßige Ändern dieses Passworts, das Nutzen von sicheren WLAN-Netzwerken und der Schutz des Smartphones durch eine Antiviren-Software.
Welche Möglichkeiten haben Händler*innen, Kund*innen diese Bedenken zu nehmen?
Einzelhändler*innen sollten darauf achten, Personal bereitzustellen, das bei Schwierigkeiten oder Fehlfunktion unterstützen kann. Weiterhin ist es entscheidend, Kund*innen besser über die gesammelten Daten aufzuklären. Händler*innen können mit Cybersecurity-Software zum Schutz ihrer Kundendaten beitragen.
Händler*innen können ihren Kund*innen auch ein Hybrid-System anbieten und zusätzlich Selbstbedienungskassen installieren. Hier können Kund*innen ihre Produkte selbst einscannen und am Automaten bezahlen. Sie können an den Automaten auch mit Bargeld bezahlen und müssen die App nicht mit ihrem Bankkonto verknüpfen. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Befragten nutzt bereits gelegentlich Selbstbedienungskassen und 21 Prozent nutzen sie immer, wenn es die Möglichkeit gibt.
Welche Gruppen zeigen eine besonders hohe Bereitschaft zur Nutzung solcher Systeme?
Technikaffine Konsument*innen zeigen ein viel größeres Interesse daran, kassenlose Geschäfte auszuprobieren, als diejenigen, die ihre Technologienutzung einschränken. So sind 96 Prozent der technikaffinen Konsument*innen an der Technologie interessiert. Mit dem Alter der Personen nimmt das Interesse an den Supermärkten mit dem neuen Konzept ab. Die untenstehende Grafik zeigt die Unterschiede.
Die in der Studie genannten Vorteile - Vermeidung von Warteschlangen, Vermeidung von Kontakt mit anderen Menschen, Schnelligkeit beim Bezahlen - sind auch Stärken des Online-Shoppings. Welche Pluspunkte bieten kassenlose Einkäufe trotzdem gegenüber dem Einkauf im Internet?
Mit der Zunahme des Online-Einkaufs erforschen Einzelhandelsunternehmen den Einsatz neuer Technologien und Einkaufsmöglichkeiten, um nicht abgehängt zu werden und attraktiv zu bleiben. Bei bestimmten Arten von Geschäften wie Kleidung, Elektronik etc. sind die Vorteile des kassenlosen Einkaufens mit denen vom Online-Handel zu vergleichen. Kassenlose Geschäfte sind jedoch (noch) auf Lebensmittelläden fokussiert. Der Online-Lebensmittelhandel in Deutschland ist in den letzten Jahren zwar stark gewachsen, macht jedoch immer noch nur einen geringen Teil des Lebensmittelumsatzes aus. Die meisten deutschen Konsument*innen bevorzugen den Einkauf im Supermarkt.
Welche Länder sind Vorreiter? Gibt es Beispiele aus anderen Ländern, in denen solche Systeme schon länger in großer Zahl vorhanden sind und von den Kund*innen in der Normalität des Einkaufens akzeptiert werden?
Das Konzept des kassenlosen Supermarkts ist in diesem Sinne nicht neu. Amazon Go hat bereits 2018 den ersten kassenlosen Supermarkt in Seattle eröffnet. Im März 2021 eröffnete Amazon dann mit Amazon Fresh in London laut eigener Aussage den ersten kassenlosen Supermarkt in Europa. Tatsächlich hatte die hessische Supermarktkette Tegut bereits Ende 2020 einen Supermarkt ohne Kassenpersonal in Fulda eröffnet. Rewe folgte mit seiner kassenlosen Technologie im Oktober 2021. Auch andere Länder in Europa arbeiten an der Technologie. Der polnische Anbieter Żabka beispielsweise baut sein Netz an kassenlosen Läden mit Tempo aus.
Für welche Händler*innen lohnt sich der finanzielle Aufwand, für welche eher nicht?
Das ist schwer zu sagen, da die kassenlose Technologie mit einer hohen Investition verbunden ist. Es bietet sich daher nur für Händler*innen an, die finanziell im Voraus investieren können.
Wie können Bund und Länder die Entwicklung vorantreiben und Händler*innen unterstützen?
Ich denke nicht, dass Bund und Länder an der Entwicklung partizipieren können oder werden.