Keine große Tech-Investition, sondern Kreativität ist gefragt
Wie der stationäre Einzelhandel trotz (oder dank!) Lockdown profitieren kann
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Die Corona-Pandemie hat eine unmittelbare Verzahnung von stationärem und Online-Handel mit sich gebracht. Diese Entwicklung sei längst überfällig, sagt Gerold Wolfarth, Gründer & CEO der bk Group. Große Tech-Investitionen brauche es nicht, verspricht er, sondern Kreativität.
Auf bestehende Plattformen zurückgreifen, Kunden mit Online-Events locken, die Kraft der persönlichen Beratung nutzen – so können und müssen Händler sich trotz schwieriger Umstände kreativ ihren Weg bahnen, um zu bestehen, rät Wolfarth.
Herr Wolfarth, Sie fordern mehr Omnichannel-Konzepte wie Click & Collect. Wie sehen solche möglichen Gesamtkonzepte denn konkret aus?
Gerold Wolfarth: Click & Collect ist eine gute Entwicklung, die aus der aktuellen Situation heraus entstanden ist. Doch es wundert mich, dass hierzu überhaupt eine Krise notwendig war. Der Gedanke, Online- und Offlinegeschäft miteinander zu verknüpfen, ist unumgänglich. Der Fokus auf Omnichannel hat vor drei Jahren Fahrt aufgenommen und muss nun mit oder ohne Lockdown konsequent weitergeführt werden. Statt sich als stationärer Händler in Konkurrenz zu Onlineanbietern zu sehen, sollte man bewusst beide Bereiche nutzen. Das Ziel muss sein, unterschiedliche Vertriebskanäle ineinander greifen zu lassen. Nur so erreicht man eine größtmögliche Anzahl an Touchpoints mit Kunden und profitiert im Gesamten. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Wer keine Kunden in den Laden lassen darf, bietet eben interaktive Schaufenster an, über welche die Ware sofort online bestellt und kostenlos nach Hause geliefert werden kann. Ich selbst habe ein Konzept erlebt, bei dem ein Einzelhändler seinen Kunden Überraschungspakete zum Fixpreis nach Hause geliefert hat. Ohne Rückgaberecht, dafür mit 50 Prozent Rabatt. Die Aktion hat dem Retailer doppelte Umsätze im Vergleich zur Zeit vor dem Lockdown beschert.
Gibt es Technologien, die Einzelhändler unbedingt einsetzen sollten, um ihr Angebot zu stärken?
Für die konsequente Weiterentwicklung des Online-Geschäfts sind nicht unbedingt komplexe Software-Lösungen oder teure Technologien notwendig. Wir leben in einer Welt, in der wir alle über Social Media eine meist kostenlose und unvergleichlich große Schnittstelle mit potenziellen Kunden haben. Wer hier ein wenig Zeit in die Einrichtung der eigenen Kanäle investiert und dann gezielte Aktionen startet, gewinnt Einnahmequellen mit einem niedrigen Budget. Eine Modenshow, die live über Instagram übertragen wird, sorgt für Interesse und Nachfrage. Die gezeigten Produkte sind im Anschluss online erhältlich. Wer keine eigene Website hat, nutzt die Möglichkeiten, die bestehende Plattformen bieten. Kunden, die Bilder ihrer erworbenen Produkte teilen und den Händler verlinken, erhalten für das nächste Event eine Eintrittskarte oder einen Rabatt. Die Nachfrage wird definitiv steigen.
Welche Technologien sind Ihrer Meinung nach oft diskutiert, aber überbewertet?
Aktuell wird sehr viel über künstliche Intelligenz diskutiert. Das ist für viele Lebensbereiche auch sehr spannend und verspricht echte Innovation. Aber ich bin der Meinung, dass insbesondere der Einzelhandel keine künstliche Intelligenz benötigt, welche Kundenverhalten lernt. Im Gegenteil: Kein Algorithmus kann die persönliche Beratung einer Fachkraft ersetzen. Egal ob persönlich oder eben über eine Online-Beratung – das Wissen eines Kundenberaters, der seine Kunden kennt, ist ein elementarer Schlüssel zum Erfolg.
Reicht das, um neben den etablierten Online-Riesen zu bestehen, die im E-Commerce oft automatisch die erste Adresse sind? Wie bekomme ich als kleiner Händler lokal in meinem Kundenkreis die Aufmerksamkeit?
Auf jeden Fall haben kleinere lokale Händler die Chance ihren Marktanteil zu erzielen. Hierbei sind die persönliche Beratung und der Kundenservice essenziell. Dies kann ein Online-Riese nicht bieten. Verbunden mit einem exklusiven Mehrwert, wie einer kostenlosen Lieferung nach Hause, wird das die Kunden speziell nach der Corona-Pandemie in die Läden strömen lassen. Denn die Menschen sehnen sich aktuell nach dem besonderen Einkaufserlebnis. Diesen Trend haben die ersten zwischenzeitlichen Öffnungen bei niedrigen Inzidenzzahlen bereits mehr als bestätigt. Kleine Händler haben hier sogar einen Vorteil gegenüber großen Filialketten, da sie deutlich flexibler agieren können. Diesen Vorteil gilt es jetzt konsequent zu nutzen und die eigenen Vertriebswege weiter auszubauen.
Es bleibt die Herausforderung, Einkaufen wieder zum Erlebnis zu machen. Besonders, wenn Kunden das Geschäft nicht betreten dürfen. Wie schaffe ich das?
Hier ist durchaus die Kreativität der Händler gefragt. Online-Events wie virtuelle Modenschauen, Verkaufsveranstaltungen und Beratung über einen Video-Call, Kursangebote wie Farb- und Stilberatungen oder sogar die Verzahnungen mit anderen Firmen durch gemeinsame Aktionen sind denkbar. Wenn zum Beispiel der Blumenhändler, Feinkostladen und das Modehaus ihre Ideen und Ressourcen bündeln und dadurch Shoppingerlebnisse schaffen, profitieren kurz- und langfristig alle Beteiligten.