Lebensmittel und Onlinehandel – die beiden Begriffe gehen in Deutschland nicht immer zusammen. Und dann auch noch E-Commerce für Senioren? Gerade in dieser Nische will sich der Spezialitäten-Versandhändler Jungborn festsetzen. Und das tut er bisher erfolgreich – seit 90 Jahren!
Schon 1931 verschickt das Versandhaus bei Bremen hochwertige Lebensmittel – zum Beispiel Kaffee – in ganz Deutschland. Zur Zielgruppe gehörten vor allem Konsumenten über 60 Jahren. Mit dieser Historie und der Silver Generation als Publikum ist Jungborn im 21. Jahrhundert angelangt und erfolgreich. Wir fragten beim Geschäftsführer Jürgen Knecht nach, wie Jungborn diesen Spagat bewältigt.
Herr Knecht, Sie setzen seit 90 Jahren auf den gedruckten Katalog. Einer der -Klassiker schlechthin wurde jetzt eingestellt, der IKEA-Katalog. Sie bleiben diesem Kanal aber weiterhin treu?
Jürgen Knecht: Auf jeden Fall. Man muss dazu sagen, dass der IKEA-Katalog zwar eingestellt, IKEA aber nicht gänzlich auf Print-Mailings verzichten wird. Anstöße und Inspiration werden nach wie vor benötigt, nur eben zielgerichteter.
Wie alle größeren Unternehmen betreiben auch wir Konsumenten-Forschung. Dabei wird untersucht, ob der Katalog die auslösende Bestelloption ist oder ob regelmäßige zielgerichtete Mailings mit einem Bruchteil der Kosten genau so funktionieren. Danach werden die Entscheidungen getroffen.
Zusätzlich sind Sie vor 20 Jahren mit Ihrem Onlineshop gestartet. Wie kam es damals zu der Entscheidung?
Der neue Onlineshop war damals nur ein Bestellweg von vielen, der wurde anfangs nicht offensiv beworben. Der Markt forderte das so. Der damalige Inhaber war sogar skeptisch, ob das Internet sich überhaupt durchsetzt, nahm dann aber trotzdem das Geld dafür in die Hand.
Als ich vor über zehn Jahren Geschäftsführer wurde, war klar, dass man dem Online-Bereich ein eigenes Gesicht geben muss, Onlineshops bieten so viele Möglichkeiten für die Nutzer. Inzwischen hat sich der Webshop als eigenständiger Kanal etabliert, den wir auch befeuern mit spezifischen Maßnahmen, Produkten und Angeboten.
Wie haben Sie Ihren Onlineshop seniorengerecht aufgestellt?
Die Usability ist natürlich ein großes Thema für uns, genau wie der Checkout. All diese Prozesse müssen so gestaltet sein, dass sich auch eine ältere Generation damit zurechtfindet. So haben wir beispielsweise den vorgefertigten Checkout-Prozess unserer Shop-Plattform angepasst und mit Eigenprogrammierungen auf die Zielgruppe hin optimiert. Zudem haben wir eine Hotline für allgemeine und technische Fragen, die gut frequentiert wird.
Haben Sie den Eindruck, dass die älteren Generationen beim E-Commerce oft ein wenig in Vergessenheit geraten, obwohl sie eine große Kaufkraft besitzt?
Ja, die Zielgruppe über 60 hat man jahrelang vernachlässigt. Letzten Endes orientieren sich Märkte an Mengen; man hat gesehen, die Online-Konsumenten sind jung, von daher stürzten sich erstmal alle auf diese Zielgruppen. Die Silver Generation wurde erstmal außer Acht gelassen.
Das hat sich jetzt aber geändert, man findet immer mehr Angebote für die Silver Generation. Im Online-Bereich ist es aber deutlich schwieriger, Angebote nur auf diese Zielgruppe auszurichten als mit Katalogen und einem Adressverteiler.
Werden für die Beratung und den Kundenkontakt bei Ihnen Social-Media-Kanäle oder Messenger wie WhatsApp zukünftig eine größere Rolle spielen?
Darüber sind wir gerade mit Dienstleistern im Gespräch, ja. Man muss erstmal die Plattform dafür bereiten, denn diese Kanäle sind sehr schnelle Kanäle, die auch abends und an Wochenenden laufen. Man muss also eine kontinuierliche Antwortfrequenz und -qualität sicherstellen.
Jungborn hat gerade sein 90-jähriges Jubiläum gefeiert. Wenn Sie von der Vergangenheit in die Zukunft schauen, wie wollen Sie die nächsten Jahre oder Jahrzehnte strategisch angehen?
Der Bereich Print, der schriftliche Bestellkanal, der wird rückläufig sein. Dafür werden wir deutlich mehr Onlinebudget aufwenden, um dort die Sichtbarkeit zu erhöhen. Der Onlinekanal hat viele Vorteile, was die Bestellfreundlichkeit angeht. Aber auch die telefonische Bestellung darf man nicht außer Acht lassen: Wir rechnen damit, dass unser Callcenter weiterhin Bestand hat, wenn wir es nicht sogar ausbauen müssen. In Zeiten der Globalisierung sehnen sich einige Leute doch wieder nach persönlichem Kontakt.
Und ein weiterer großer Faktor ist ein veränderter Kundenanspruch: Die Konsumenten werden viel kritischer. Wir merken das auch bei den Senioren, die stellen heute Fragen, die sie vor fünf Jahren noch nicht gestellt haben, nach Verpackungsmüll, nach ökologischer Verträglichkeit und Lieferketten-Transparenz.
Welche Veränderungen für den allgemeinen Lebensmitteleinzelhandel erwarten Sie durch die Pandemie?
Ich gehe fest davon aus, dass sich das Modell „Click und Collect” etablieren wird. Ebenso werden Lieferdienste wie Picnic, getnow oder auch REWE online weiterwachsen. An welchem Punkt das dann rentabel wird, das ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Aber man will Amazon diesen Markt nicht überlassen.
EDEKA beispielsweise investiert auch weiterhin in dieses Feld. Picnic hat ein sehr eigenes Modell mit vorher festgelegten Lieferterminen, das man erstmal als kunden-unfreundlicher wahrnehmen würde. Dieses Konzept ist wohl am ehesten geeignet, irgendwann ein rentables Modell zu werden.
Sehen Sie optimistisch in die Zukunft?
Wir haben ein Sortiment, das in großen Teilen im Lebensmitteleinzelhandel so nicht erhältlich ist. Daher sehen wir die Entwicklung durchaus gelassen und für uns Chancen mitzuwachsen, wenn sich jetzt bei den Konsumenten und im Online-Bereich neue Fenster öffnen. Für den Bereich E-Commerce werden wir auch zukünftig noch mehr Geld in die Hand nehmen.
Allerdings ist die Nische natürlich immer nur so gut, wie man sie verteidigen kann. Konsumenten und Bedingungen wandeln sich, das sind die Herausforderungen, die wir alle bewältigen müssen im Rahmen einer agilen Unternehmensstruktur. Wenn Sie stehen bleiben, sind Sie ruckzuck weg vom Fenster. Aber wir kennen die Mechanismen und wir wissen, was wir zu tun haben.