Interview • 12.07.2021

Bedürfnisse verstehen, um alle Kunden abzuholen

Barrierefreiheit im Onlinehandel und typische Hürden

Damit auch blinde Menschen uneingeschränkt online einkaufen können, müssen Onlinehändler bei der Gestaltung ihres Webshops auf Barrierefreiheit achten. Wir haben mit Ronja Pahaoja, Accessibility Specialist bei der Softwarefirma Eficode, gesprochen, die Onlineshops auf ihre Benutzerfreundlichkeit für Menschen mit Behinderung testet. 

Frau Pahaoja, wie sind Sie dazu gekommen, digitale Angebote im Handel auf ihre Barrierefreiheit zu testen? 

Blinde lernen schon früh, digitale Hilfsmittel zu nutzen – und es hat sich herausgestellt, dass mir das besonders leichtfällt. Doch je routinierter man wird, desto augenfälliger werden die Hürden, denen blinde Menschen begegnen. Schon vor vielen Jahren konnte ich mit einem Screenreader erkennen, wenn etwas für mich nicht funktionierte. 

Später – in meinem Informatik-Studium – interessierte es mich dann besonders, zu lernen, wie man Probleme mit der Barrierefreiheit beheben kann. Es ärgert mich wirklich, wenn sich Unternehmen kaum um Barrierefreiheit bemühen. Derzeit bin ich ein bisschen hin- und hergerissen, denn ich träume auch davon, Software und Apps zu entwickeln. Aber mit der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit gibt es aktuell eine Menge Bedarf für Barrierefreiheitstests. Außerdem freut es mich, mit meinem Fachwissen zu mehr Barrierefreiheit beitragen zu können und anderen das Leben leichter zu machen. 

Wie laufen diese Barrierefreiheitstests ab? 

Ich teste die digitalen Dienste mit einem Screenreader, indem ich fast jede mögliche Anwendung auf ihre Funktionalität hin teste – etwa darauf, ob die Elemente der Benutzeroberfläche programmatisch korrekt gekennzeichnet sind. Das sind zunächst mechanische Aufgaben. Dabei gehe ich beispielsweise die Schaltflächen des Dienstes wie Überschriften, Menüs und ähnliche Bestandteile durch und prüfe, ob der Screenreader sie richtig liest. Manchmal checke ich zusätzlich den Quellcode, um zu sehen, wie etwas gemacht wurde. Weil ich selbst nicht sehen kann, arbeite ich oft mit einem Kollegen, der die visuelle Seite übernimmt – den Farbkontrast, die korrekte Beschreibung von Bildern und so weiter. 

Blinde Frau sitzt vor einer bunten Tastatur und einem Screenreader...
Ronja Pahaoja liest mit dem Screenreader eine Website
Quelle: Eficode

Auf welche Probleme stoßen blinde Kunden denn beim Onlineshopping? 

Das Browsen von Produkten ist oft mühsam, wenn sie in Produktlisten nicht getrennt sind, zum Beispiel durch mehrere Levels der Überschriften. Genauso mühsam oder gar unmöglich wird dann das Filtern der Produkte mit einem Screenreader, denn die Anzahl der Produkte in der Liste wird oft sehr groß. Wenn auf der Listing-Seite nur wenige Produktinformationen gegeben werden, muss ich unter Umständen sehr viele Produktseiten anklicken. Für einen blinden Menschen sind die Produktbilder schließlich nicht hilfreich. In der Regel bedeutet das für blinde Shopper, viel Zeit und Geduld für das Onlineshopping zu reservieren. Als Prüferin versuche ich den Kunden diese Schwierigkeiten klarzumachen. Man kann beispielsweise mit klarer Kategorisierung und eindeutigen Beschreibungen schnelle Erfolge erreichen.

Sie testen die Barrierefreiheit von Online-shops für das Softwareunternehmen Eficode. Wie nutzerfreundlich sind diese Testmöglichkeiten Ihrer Meinung nach?

Das größte Problem beim automatisierten Testen ist die Relevanz im Kontext. Zum Beispiel sollten Tabellen nur dann verwendet werden, wenn die Darstellung der Daten eine tabellarische Form erfordert. Es ist für einen automatisierten Test schwierig, aus dem Inhalt einer Tabelle zu verstehen, ob die Darstellung korrekt ist. Bei Bildern gilt: Ein automatisierter Test kann zwar erkennen, ob ein Bild einen Alternativtext hat oder nicht. Aber es ist für ihn oft unmöglich zu sagen, ob der Inhalt des Alternativtextes für den Benutzer in diesem Kontext relevant ist. Ich denke, dass sich in Zukunft, wenn sich künstliche Intelligenz weiterentwickelt, auch die automatisierten Tests zur Barrierefreiheit verbessern werden.

Welche Vorteile erfahren Kunden mit Behinderung beim Einkauf im stationären Handel, welche beim Onlineshopping? 

Der Vorteil von Onlineshopping ist, dass im besten Fall Menschen mit Behinderung, beispielsweise also blinde Menschen, selbstständig ohne Hilfe einkaufen können. Sie können das Sortiment ungestört auch länger erkunden und werden beim Vergleich verschiedener Produkte nicht eingeschränkt – etwa durch eine Vorauswahl durch einen Assistenten oder das Verkaufspersonal. 

Auch muss sich ein Rollstuhlfahrer in einem Onlineshop keine Gedanken darüber machen, ob die Gänge des Ladens für seinen Rollstuhl breit genug sind oder ob der Rollstuhl und ein Assistent in die Umkleidekabine passen. 

Wenn aber der Onlineshop nicht barrierefrei ist, kann es je nach Behinderung für betroffene Personen unmöglich sein, ihn zu nutzen. Man erhält möglicherweise nicht genügend Informationen über die Produkte, findet nicht das Gewünschte oder scheitert an Bildern ohne Alternativtext. In einem Laden wiederum kann ich den Verkäufer um mehr Informationen bitten.

Detailaufnahme: Blinde Frau sitzt vor einer bunten Tastatur und einem...
Quelle: Eficode

In welchem Onlineshops stoßen Sie auf besonders viele Hürden und was braucht es Ihrer Meinung nach, um diese zu umgehen? 

Oft legen große Dienstleistungsunternehmen mehr Wert auf Barrierefreiheit als kleine. Dabei können für kleine Unternehmen Onlineshops auf einer Plattform implementiert werden, die bereits ein hohes Niveau an Barrierefreiheit hat. 

Die größte Hilfe für Betroffene wäre es, wenn die Betreiber von Onlineshops die Barrierefreiheit bei der Gestaltung und technischen Umsetzung grundsätzlich berücksichtigen würden. Das erfordert Schulungen und mehr Aufmerksamkeit für Barrierefreiheit. Wer die tatsächlichen Bedürfnisse der Betroffenen versteht, wird mehr darauf achten. Persönlich würde ich mir oft detailliertere Informationen zu Produkten in Textform wünschen. Ich als Anbieter würde mich beispielsweise nicht darauf verlassen, dass Kunden aus dem Bild eines Kleidungsstücks alle relevanten Informationen für eine Kaufentscheidung herausziehen können.

Was würden Sie sich von der Handelsbranche in Sachen digitaler Barrierefreiheit für die Zukunft wünschen? 

Heutzutage wähle ich Onlineshops ziemlich oft danach aus, ob ich sie nutzen kann, ohne die Nerven zu verlieren. Es wäre toll, wenn ich in Zukunft die Wahl nicht mehr in erster Linie anhand der Barrierefreiheit treffen müsste, sondern in jedem beliebigen Onlineshop bedenkenlos einkaufen könnte. Im besten Fall bietet das Onlineshopping jedem die Möglichkeit, unabhängig zu agieren.

Interview: Elisa Wendorf

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