"Echte Omnichannel-Händler verstehen den Grundsatz: Der Kunde ist König"
Interview mit Channie Mize, General Manager Retail bei Periscope, a McKinsey Solution
Auf dem World Retail Congress 2016 in Dubai hat Periscope in einer Umfrage unter den Konferenzteilnehmern festgestellt, dass die meisten Händler (78 Prozent) auch heute noch nicht in der Lage sind, ihren Kunden eine einheitliche Markenerfahrung über alle Kanäle zu bieten. Warum Händler sich hier immer noch schwer tun, erklärt Channie Mize, Retail Sector General Manager von Periscope, a McKinsey Solution, im Interview mit iXtenso.com.
Ms Mize, den meisten Händlern ist durchaus bewusst, dass eine gute Multichannel-Strategie der Schlüssel zu mehr Wachstum im digitalen Bereich ist. Warum können dies so viele Händler noch nicht umsetzen?
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass Multi- und Omnichannel nicht dasselbe sind. Der Multichannel-Handel war vielmehr eine Vorstufe zum Omnichannel, was die Interaktion mit dem Kunden angeht. Im Multichannel bietet der Handel unterschiedliche Formate – zunächst den stationären Laden, dann auch Online und schließlich Social Commerce. Diese Kanäle wurden nicht integriert und die Kunden haben an jedem Touchpoint unterschiedliche Erfahrungen gemacht, obwohl sie immer noch beim gleichen Händler einkauften. Im Omnichannel sind die Kanäle integriert, so dass der Händler ein umfassendes Verständnis des einzelnen Kunden hat. Er kann daher das Einkaufserlebnis basierend auf dem Verhalten des Kunden in den verschiedenen Kanälen personalisieren.
Es gilt, sowohl operative, als auch organisatorische Probleme zu überwinden, um “wahren” Omnichannel-Handel zu erreichen. Dabei gibt es einen klar definierten Transformationsprozess, den Einzelhändler Schritt für Schritt durchlaufen müssen, um eine passende Strategie in ihrem Unternehmen zu implementieren. Die Unfähigkeit, die Bedeutung dieser Schritte zu verstehen und sie systematisch durchzuführen kann den alles entscheidenden Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einem echten Omnichannel-Geschäftsmodell beginnt mit einem klar dokumentierten Verständnis der eigenen Marke und des Merchandisings sowie mit Preisstrategien, die über alle Kanäle hinweg gelten. Zweitens müssen Händler in ihrem Unternehmen die richtige Organisationsstruktur schaffen, um die Omnichannel-Strategie zu unterstützen. Drittens brauchen sie die passenden Analysemechanismen, um zu verstehen, wie einzelne Kunden sich in den verschiedenen Kanälen verhalten. Werden die Schritte 1 bis 3 korrekt durchgeführt, können Händler dann die Interaktion mit dem Kunden personalisieren, um so eine Kannibalisierung durch die unterschiedlichen Kanäle zu minimieren. So wird im Endeffekt die Kundenbindung erhöht, da der Kunde beim Omnichannel-Händler ein perfekt auf ihn persönlich zugeschnittenes Einkaufserlebnis erfährt.
Welchen Einfluss hat das Fehlen einer umfassenden Omnichannel-Strategie auf die Kundenbindung und -loyalität?
Einen Kunden für sich zu gewinnen ist die eine Sache – ihn auch zu halten eine ganz andere. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde der Preis noch als der alles entscheidende Faktor betrachtet, aber die Wahrheit ist viel komplexer. Die vielen Wege, auf denen Kunden heute mit einer Marke sowohl on-, als auch offline interagieren, machen es schwer, einen einzelnen Kunden zu identifizieren, geschweige denn wirklich zu verstehen.
In der Vergangenheit war der Kaufvorgang immer an einen bestimmten Laden gebunden, heute gibt es insbesondere online eine Vielzahl von Möglichkeiten, über die Kunden mit einem Händler in Kontakt kommen. Die Vorlieben und Abneigungen eines einzelnen Kunden zu kennen ist weitaus schwieriger geworden, trotz der vielen verfügbaren Informationen. Aber ob es dem Händler nun gefällt oder nicht: Nur wer seine Kunden kennt wird auch weiterhin erfolgreich handeln.
Den Punkt zu finden, an dem ein Kunde gern mit einem Händler in Kontakt tritt und dann auch kauft, ist wichtig – noch wichtiger aber ist eine schnelle Reaktion, wenn der Kunde aus irgendeinem Grund unzufrieden ist. Dann gibt es nur ein kleines Zeitfenster, in dem der Händler die Gelegenheit hat, den Kunden weiter an sich zu binden, bevor er sich einer anderen Marke zuwendet. Und die Kosten, die aufgewendet werden müssen, um einen Kunden zurückzugewinnen, können sehr hoch sein.
Nur sechs Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, sie seien „bereit für die Omnichannel-Implementierung“. Was machen diese Händler besser als die Konkurrenz?
Die Einzelhändler, die ein echtes Omnichannel-Markenerlebnis bieten, haben bereits seit einiger Zeit proaktiv investiert, um ihre “normale” und digitale Strategie zu kombinieren. Aber vor allem verstehen diese Einzelhändler den Grundsatz “Der Kunde ist König” - eine Binsenweisheit, die immer noch von zentraler Bedeutung ist für alles, was ein Händler tut.
Diese Einzelhändler verstehen sehr gut, dass ihre besten Kunden genau die sind, die über mehrere Kanäle hinweg einkaufen – im Laden, online und mobil. Diese Kunden wollen vom Händler erkannt werden - egal, an welchem Punkt sie mit ihm in Kontakt treten. Um das zu erreichen, müssen die Mitarbeiter in der Filiale Zugriff auf kanalübergreifende Informationen zum bisherigen Kaufverhalten haben. Für diese Händler ist ein flüssiger Übergang zwischen den Kanälen besonders wichtig, da er von den Kunden inzwischen erwartet wird.
Um die Effizienz, die Koordination und die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter zu verbessern, müssen die Händler die Organisation im gesamten Unternehmen so anpassen, dass keine einzelnen “Silos” mehr vorhanden sind, in denen Informationen versickern, die auch für andere Unternehmensteile wichtig wären. Promotions und ähnliche Aktivitäten werden durch die gemeinsame Planung zentralisiert, behalten dabei aber die Flexibilität, unmittelbar auf geänderte Ansprüche der Kunden reagieren zu können. Um eine konsistente Erfahrung für den Kunden zu gewährleisten und gleichzeitig dem Makenprofil zu entsprechen, wird das gesamte Sortiment über alle Kanäle hinweg angeboten, online aber durch zusätzliche Angebote ergänzt.
Diese Händler haben sich selbst eine strategische Roadmap gegeben, die eindeutig festlegt, wie Analysen, Erkenntnisse und Aktionen in der Unternehmenorganisation eingebettet werden. Sie haben sich außerdem zur Einhaltung der entsprechenden Prozesse verpflichtet. Analytics werden genutzt, um Schritt für Schritt die nötigen Veränderungen im Unternehmen durchzusetzen. Dabei können die einzelnen Schritte sehr klein sein, können dadurch aber innerhalb der komplizierten Unternehmensstrukturen auch einfacher umgesetzt werden.
Knapp die Hälfte der befragten Händler gab an, dass sie zwar an der Umsetzung von Omnichannel-Konzepten arbeiten, dies aber nicht schnell genug vonstattengeht. Wie lässt sich die Entwicklung beschleunigen?
Einer der größten Fallstricke bei der Implementierung eines echten Omnichannel-Handels ist der Versuch, alle anfallenden Probleme auf einmal und sofort zu lösen – das kann schnell zu einem Stau im Gesamtprojekt führen. Die bessere Lösung ist auf jeden Fall die Erstellung eines “Implementierungsfahrplans”, an dem sich alle Beteiligten orientieren. Dieser sollte vorsehen, dass zunächst die Aspekte umgesetzt werden, die einen positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben.
Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Es ist daher wichtig, den richtigen ersten Schritt zu identifizieren und sich dann Jahresziele für den Fortgang des Projekts zu setzen, so dass sich das Team auf die jeweils im Vordergrund stehende Aufgabe konzentrieren kann.
In Abhängigkeit vom beabsichtigten Ziel sollten Händler ihre Daten strukturieren um festzulegen, wie ihr Unternehmen den Herausforderungen am besten begegnen kann. Durch die Schaffung besserer Datenstrukturen können schneller die richtigen Antworten auf die Frage gefunden werden, wie die Merchandising-Aktivitäten in Zukunft geplant werden sollten. Dazu müssen gewonnene Erkenntnisse nahtlos in Handlungsempfehlungen und den Workflow einfließen - ansonsten läuft der Händler Gefahr, dass die dynamische Entwicklung im Omnichannel schneller verläuft, als sein Unternehmen folgen kann.
Insgesamt gesehen dürfen wir aber nicht die Tatsache außer Acht lassen, das eine Transformation in dieser Größenordnung immer schwierig ist und Zeit braucht. Sie umfasst sowohl menschliche, als auch organisatorische Faktoren sowie technische Gegebenheiten. Eine typische Transformation hat eine rund 30-prozentige Chance, die durch das Unternehmen festgelegten Ziele auch zu erreichen. Aber Unternehmen, die sich einem evidenzbasierten Ansatz verpflichten, ein passendes Amalyse-Team aufbauen und die neuesten Erkenntnisse und Lösungen nutzen, werden in 90 Prozent der Fälle eine erfolgreiche Transformation durchführen können.