Interview • 02.04.2013
"Jeder Kanal bringt dem Retailer Informationen über den Kunden"
iXtenso-Interview mit Thilo Freund, Geschäftsführer MICROS Retail Deutschland GmbH
Multichannel heißt das Zauberwort: Retailer verfügen heute über viele Wege, den Kunden zu erreichen und zum Kauf zu animieren. Umgekehrt nimmt eine Vielzahl der Kunden dieses Angebot gerne an und nutzt für den Kaufprozess verschiedene Kanäle. Wie Händler durch eine umfassende Multichannel-Strategie die Kundenbindung stärken und gleichzeitig wertvolle Informationen erhalten können, erläutert Thilo Freund, Geschäftsführer MICROS Retail Deutschland GmbH, im aktuellen Interview.
Multichannel ist aktuell eines der ganz großen Themen im Handel. Welche Chancen ergeben sich durch eine umfassende und effektive Multichannel-Strategie für Retailer in Bezug auf die Kundenbindung?
Kunden wollen heute flexibel zwischen den Kanälen wechseln: Im Internet oder per Mobiltelefon bestellen, in der Filiale ausprobieren, unmittelbar im Geschäft kaufen und die Zahlung mit einer Geschenkkarte kombinieren. Das alles muss reibungslos und mit konsistenten Artikel-, Lager und Kundeninformationen erfolgen. Sind die Systeme des Einzelhändlers entsprechend miteinander vernetzt, kann der Kunde seinen bevorzugten Kanal frei wählen. Ihm stehen alle Produkte, Aktionen und Promotionen gleichermaßen über alle Kanäle zur Verfügung. Der Kunde muss den Anbieter also nicht wechseln, weil beispielsweise ein bestimmtes Produkt in einem Kanal nicht zur Verfügung steht. Das stärkt die Markentreue.
Darüber hinaus kann der Einzelhändler alle Käufe kanalübergreifend analysieren und auswerten. So sammelt er in jedem Kanal Informationen über den Kunden und dessen Präferenzen. Auf dieser Basis kann er ihm zielgerichtet und auf ihn persönlich zugeschnittene Angebote machen – über alle Kanäle.
Wie sieht eine funktionierende Kanalkombination aus? An welchen Punkten ergeben sich Synergieeffekte?
Damit Cross-Channel-Management technisch wirklich nahtlos funktioniert, muss jeder Vertriebskanal über eine zentrale Plattform "sichtbar" sein. Daten und Dienstleistungen müssen kanalübergreifend ausgetauscht bzw. eingesetzt werden können. Die Systeme müssen direkt aufeinander zugreifen und untereinander kommunizieren können. Mit einer echten Cross-Channel-Management-Lösung lassen sich Kundenbestellungen und Lagerbestände über alle Vertriebs- und Lieferkanäle intelligent steuern. So können Entscheidungsträger und Fachbereiche schnell auf neue Marktbedingungen reagieren, Prozesse und technische Änderungen einfach umsetzen und die neuen Services und Initiativen in den einzelnen Vertriebskanälen einführen. Das verschafft Einzelhändlern Wettbewerbsvorteile.
Gibt es Risiken, die Retailer beachten müssen? An welchen Punkten kann eine solche Strategie scheitern?
Cross-Channel-Management bedeutet leider nicht: IT-Lösung einführen und alles läuft von selbst. Vielmehr müssen zunächst viele Prozesse überdacht und zusammengeführt werden, was eine langwierige und komplexe Angelegenheit sein kann. Es müssen beteiligte Unternehmensbereiche identifiziert werden. Es muss analysiert werden, welche Prozesse vom Cross-Channel-Management betroffen sind. Es muss geklärt werden, welche Sortimente über welchen Kanal angeboten werden. Die Preisstrategie über die Kanäle muss definiert werden – also die Frage, ob Online- und Offline-Geschäft die gleichen Preise haben sollen. Es muss der ganz sicher entstehende Konkurrenzkampf zwischen den Kanälen – Stichwort Kannibalisierung – organisatorisch gelöst werden. Und auch Punkte wie das Ladenbaukonzept und die Instore-Logistik müssen geklärt werden: Wenn z.B. zusätzliche Service-Points oder Abholstationen in der Filiale benötigt werden oder der Versand an den Kunden aus der Filiale heraus erfolgen soll.
Und schließlich müssen auch die Mitarbeiter entsprechend geschult werden – denn was nutzt das beste Cross-Channel-Management, wenn die Mitarbeiter dieses nicht leben. Die Beispiele zeigen: Cross-Channel-Management ist eine unternehmensübergreifende Aufgabe. Wer hier im Vorfeld seine Hausaufgaben nicht macht, wird es schwer haben. Wir raten Einzelhändlern daher, sich erst auf einige wenige Cross-Channel-Management-Prozesse zu beschränken, die den größten Nutzen versprechen oder die einfach am dringlichsten realisiert werden müssen. Ein Beispiel könnte Click & Collect sein – also bestellen im Online-Shop, abholen und gegebenenfalls umtauschen/retournieren in der Filiale. Anschließend können weitere Prozesse nach und nach integriert bzw. ausgebaut werden.
Werden alle Absatzkanäle parallel genutzt oder gibt es einen klaren Favoriten der Kunden?
Die Erfahrung zeigt, dass dies stark von den persönlichen Präferenzen der Kunden und den Produkten abhängt. Es gibt nach wie vor Kunden, die lieber stationär statt online kaufen. Es gibt aber andersherum Produkte, die heute überwiegend online und immer seltener in der Filiale verkauft werden. Und der Trend geht weiter Richtung online bzw. Cross-Channel. Denn schon heute spielen verschiedene Kanäle oft zusammen: Der Kunde informiert sich online und kauft – weil er das Produkt z.B. anfassen oder ausprobieren möchte oder die persönliche Beratung sucht – in der Filiale. Andersherum gibt es natürlich auch die Kunden, die sich im Fachhandel beraten lassen und dann online kaufen. Hier besteht die Kunst darin, den Kunden bei diesem Schritt nicht zu verlieren. Cross-Channel-Retailer haben hier die größten Chancen, denn sie können den Kunden auch online wieder „einfangen“. Wurde der Kunde stationär gut beraten, ist er eventuell sogar dann bereit, bei genau diesem Einzelhändler zu bestellen, selbst wenn der Preis gegebenenfalls etwas höher ist als beim Wettbewerb. Einzelhändlern, die kein attraktives Online-Angebot bereitstellen, gehen diese Kunden aber in jedem Fall verloren.
Welche Hilfsmittel haben Retailer, um durch die verschiedenen Kanäle Informationen über ihre Kunden zu gewinnen?
Die nahtlose Integration aller Systeme im Cross-Channel eröffnet Einzelhändlern ganz neue Möglichkeiten, Daten über ihre Kunden zu gewinnen und daraus zielgerichtete Loyaltymaßnahmen abzuleiten. Die Informationen die durch Kundenbindungsprogramme wie z. B. Bonusprogramme, Kunden- oder Geschenkkarten am POS täglich gesammelt werden, werden durch Informationen aus allen im E-Shop oder auch Call-Center durchgeführten Transaktionen ergänzt. Cross-Channel-fähige CRM-Lösungen erlauben es Retailern, Daten und Kaufverhalten der Kunden detailliert über alle Kanäle in einem System zu erfassen und zu analysieren. So können neue Potenziale für Cross-Selling und Umsatzsteigerung erschlossen werden und Kundenbeziehungen am POS, im Webshop und im Call Center gepflegt werden. Ebenso sollten Informationen aus Social-Media-Aktivitäten der Kunden in Bezug auf den Retailer mit in die Analysen einfließen und für individuelle Marketingkampagnen genutzt werden.
Ein wichtiges Thema ist aktuell auch der Wettstreit zwischen den verschiedenen Bezahllösungen. Welche Art von Lösung wird sich hier in den nächsten Jahren durchsetzen?
Mobile Payment ist ohne Frage eines der Top-Themen im Retail. Wir erleben hier ganz klar ein hohes Interesse bei unseren Kunden. Auf Anbieterseite gibt es mittlerweile eine Menge interessanter und gut durchdachter Lösungen. MICROS bietet z.B. zusammen mit YAPITAL eine auf QR-Code basierende Lösung an. Welche Lösung sich in der Zukunft tatsächlich durchsetzen wird, hängt sicherlich von unterschiedlichsten Faktoren ab. Die Akzeptanz im Einzelhandel und beim Endkunden in Bezug auf Einfachheit und Sicherheit der Lösung spielt hier unter anderem ebenso eine Rolle, wie die Verbreitung der entsprechenden Geräte und Technologien.
Das Interview führte Daniel Stöter, iXtenso.com
Themenkanäle: Kundenzufriedenheit, Multichannel Commerce, Kundenbeziehungsmanagement