Tech ist cool! Gimmicks, Gadgets, Gizmos – sie beeindrucken und begeistern schnell. Bis die Technologien dann aber wirklich im Alltag ankommen und von den Anwendern flächendeckend genutzt werden, dauert oft viel länger, als Technik-Experten und Entwickler das anfangs vorhersagen. Wie kommt das und wann integriert sich so eine neue Technologie beispielsweise in den Einzelhandelssektor?
Dazu hat Prof. Dr. Oliver Janz von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn (DHBW) im Rahmen der virtuellen „Retail Innovation Days“ am 15.03. Rolf Schumann, Chief Digital Officer der Schwarz Gruppe befragt. Wir fassen die Insights aus diesem Gespräch zusammen.
Welche Technologien werden den Handel morgen bewegen?
Zu Beginn stellte Prof. Janz die Frage, welche Technologien den Handel in den nächsten Jahren entscheidend prägen werden. Rolf Schumann erklärte, dass es sich hierbei eben nicht unbedingt um die sichtbaren und aufmerksamkeitsheischenden Gadgets handelt, sondern um das, was im Hintergrund passiert. Alle Technologien, die helfen Prozesse zu optimieren, genauere Vorhersagen zu treffen und die Planung belastbarer zu machen – kurz: bessere Entscheidungen zu treffen – das seien die Werkzeuge, die den Handel nachhaltig weiterbringen und sich durchsetzen würden, meint Schumann.
So entstehe nicht nur eine größere Effizienz für den Händler selbst, sondern auch eine bessere Convenience für die Kunden, und das wäre letztendlich wettbewerbsentscheidend. Große Datenanalysen und Forecast-Modelle auf Basis von KI seien entscheidend, sagt Schumann: „Warum sind wir erfolgreich? Weil wir das beste Produkt in der Qualität zum besten Preis anbieten. Und nun muss man es für Kunden bequemer und kostengünstiger machen, an dieses Versprechen zu kommen.“
Außerdem sei eine zunehmende Automatisierung entscheidend, damit nicht jeder Arbeitsschritt von Hand durchgeführt werden müsse, beispielsweise in der Disposition, der Logistik oder im Marketing. Der Händler treffe so immer noch die großen Entscheidungen, habe dafür aber bessere und aktuellere Informationen zu Verfügung.
Welche Hürde muss eine neue Technologie nehmen, bis sie wirklich im Handel ankommt?
Wie man an einigen Beispielen sehen kann (Self-Scanning, Mobile Payment, Virtual Reality), ist die technologische Entwicklung allein kein ausreichendes Merkmal, um neue Technologien in den Massenmarkt einzuführen. Nur weil die Technik funktioniert, nutzen die Kunden diese nicht sofort in großer Zahl in ihrem Alltag. Für Schumann ist das entscheide Kriterium, nach dem neue Technologien beurteilt werden sollten: „Kann ich damit das Verhalten der Nutzer beeinflussen?“ Und nur, wenn diese Verhaltensänderung eintrete, sagt er, würden die entsprechenden Werkzeuge wirklich vom Anwender übernommen.
Als Beispiel dafür nannte Schumann die Smart Devices (Smartphones und Smartwatches). Das Einkaufen, Bezahlen und Sammeln von Loyalty-Punkten mit diesen Geräten funktioniere theoretisch schon sehr lange. Early-Adopter und Technik-Begeisterte testeten solche Funktionen gerne früh, aber für den Rest der Bevölkerung müsse ein großer Mehrwert vorliegen, damit sie diese übernehmen und ihr angestammtes Verhalten zugunsten von etwas Neuem ändern. Jetzt, wo die Smart Devices als Mittel des alltäglichen Bedarfs wirklich in der breiten Masse verankert seien, alles reibungslos funktioniere und sie wirklich das Einkaufserlebnis steigerten, würden sie für diese Zwecke auch zunehmend genutzt.
Hat die Corona-Pandemie hier eine Verhaltensänderung bewirkt?
Durch die Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie sind einige Themen sehr stark in den Vordergrund gerückt. Aufhänger für das Special der Retail Innovation Days am 15.03. waren unbemannte Smart Stores, die seit einem Jahr wie Pilze aus dem Boden zu schießen scheinen – selbst in Europa und Deutschland. Gab es vorher nur sehr vereinzelte Use Cases, überschlagen sich die Meldungen nun geradezu.
Auch Rolf Schumann meint, für Themen wie Self-Scanning, Self-Checkout und Automated Shopping könnte jetzt die Zeit gekommen sein. Denn die Pandemie habe eine wirklich tiefgreifende und umfassende Verhaltensänderung ausgelöst. Als Beispiele aus der Arbeitswelt nennt er die Möglichkeiten des Arbeitens aus dem Homeoffice sowie virtuelle Meetings und Zusammenarbeit, die viele früher so nicht für möglich gehalten hätten. Aber auch im Handel sei eine deutliche Nutzerveränderung eingetreten: „Für den E-Commerce sind noch einmal viele Hürden gefallen.“
Die entscheidende Frage sei jetzt, so Schumann: „Was fehlt den Menschen am Einkaufserlebnis nach der Corona-Zeit?“ Das müsse man untersuchen und dann ganz neu bewerten. Entscheidend sei dabei immer das angenehme, reibungslose und selbstverständliche Einkaufserlebnis. Technologien seien dafür nur Mittel zum Zweck. Hier sehe er auch viel Potenzial für die Themen Voice Commerce, Personalisierung und Augmented Reality.
Wie findet ein Händler denn heraus, welche Technologien ankommen?
Technologien seien nur erfolgreich, wenn sie eine echte Verhaltensänderung herbeiführen oder mit ihr einhergehen, so das Fazit Schumanns. Aber, fragte Prof. Janz zurecht, wie man herausfindet, wie Kunden Innovationen annehmen würden? Das gehe nur durch Pilotversuche in Märkten, antwortet Rolf Schumann. „In Umfragen will jeder alles. Mit Umfragen können Sie nur einen ersten Trend ermitteln.“ Aber ob Kunden neue Technologien dann auch wirklich nutzten, darauf gebe das Testen und genaue Beobachten die einzige zuverlässige Antwort. „Wenn Sie dann merken, es ist nur ein Gimmick, aber es tritt keine wirkliche Verhaltensänderung ein, packen Sie die Technologie wieder ein.“ Und dabei sei besonders wichtig, die Technologien an der gesamten Zielgruppe zu testen, nicht nur an den Early-Adopters.